Das freie Ensemble Bühnamit zeigt Juli Zehs „Der Kaktus“ als packendes Kammerstück
Ein kleiner, grüner Kaktus ist das Corpus Delicti, um das sich die Sondereinheit GSG 9 und drei junge Polizeibeamte in Juli Zehs satirischem Theaterstück „Der Kaktus“ wie im Wahn drehen. Der stachelige Geselle ist nämlich gar nicht so harmlos, wie es scheint, wird er doch verdächtigt, einen terroristischen Großangriff auf den Frankfurter Flughafen geplant zu haben. Doch – natürlich – der Kaktus schweigt, während sich die Welt um ihn herum in hintersinnigen Diskussionen auf Messers Schneide zwischen Recht und Macht bewegt. Die freie Theatergruppe Bühnamit hat das Stück für ihre aktuelle Produktion auserkoren und regt mit einem starken Abend zum Diskutieren und Nachdenken an.
Das Hintersinnige an dem Stück ist: Man weiß nie so recht, woran man ist. Ist der Kaktus nur Kaktus oder ist er tatsächlich ein gut getarnter Schläfer? Und was treibt die engagierten Sicherheitsbeamten wirklich an? Die Sicherheit eines Landes oder ihre individuelle Sehnsucht nach Bestätigung? Denn am Ende entlarvt Juli Zeh ihre typenhaft überzeichneten Figuren alle auch als Außenseiter: Den robusten GSG9-Schützen Jochen Dürrmann (Martin Zenker), den schlaksigen Türken Cem (Tobias Schilde), die ambitionierte Polizei(muster)schülerin Susi Meier (Marlene Brugger) und die strenge Polizeioberrätin Schmidt (Annika Matthes) – nicht zu vergessen natürlich: den Kaktus.
Für ein Laienensemble mag es ambitioniert erscheinen, diesen vielschichtigen, immer zwischen Ernst und Leichtigkeit schwankenden Stoff zu inszenieren. Ist er doch auch gespickt mit Provokationen, die man an Dresdens großen Bühnen allzu oft vermisst. Auch deswegen jedoch entwickelt das Stück trotz ein paar Längen bald schon einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Ohne Moralkeule und erhobenen Zeigefinger stellt das Ensemble Juli Zehs „Tramödie“ nie einseitig dar, sondern beleuchtet stets beide Seiten der Medaille: Ein Kaktus als kaltblütiger Terrorist oder unschuldiges Pflänzchen, beides scheint möglich, während die Ausführer der Staatsmacht mit ihren eigenen Weltbildern bald in Harnisch geraten.
Am überzeugendsten gelingt es hier Tobias Schilde, auf dem schmalen Grat zwischen Spaß und Ernst zu wandeln. In der Rolle des treudoofen, aber durchaus liebenswerten Türken Cem schafft er es, von einem Moment auf den nächsten von Pausenclown-Modus auf Tiefsinn umzuschalten. Martin Zenker gibt den GSG9-Macker Jochen Dürrmann mit allerlei Machogehabe, ein plumper Zeitgenosse, der sich oft schreiend artikuliert, um überhaupt gehört zu werden. Vielseitig zeigt sich dagegen Marlene Brugger als Polizeischülerin Susi. Sie verkörpert das Ideal sanfter Weiblichkeit, lässt Erotik prickeln und wird nicht müde, die rüden Verhörmethoden Dürrmanns als unmenschlich zu kritisieren. Annika Matthes hingegen ist die spröde Polizeioberrätin: intelligent, gar nicht empathisch, aalglatt.
Zwischen zackigen Wortspielen, urkomischen Situationen und einigen nachdenklichen Momenten wird deutlich spürbar, dass die jungen Darsteller sich zuvor intensiv mit den Themen Terrorismus und Folter auseinandergesetzt haben. Das Spiel im schwarzen Raum mit Kaktus, Verhörtisch und Schreibmaschine nimmt so schnell Fahrt auf und endet, unterbrochen von einem Intermezzo aus Berichten von Terror und Folterverhören, doch überraschend. Das Großartige daran ist: Die Groteske von einer stacheligen Pflanze, deren bloße Existenz eine Diskussion über Bürger und Staat, Terror und Demokratie, Krieg und Menschenrecht heraufbeschwört, sie piekt schon bald wie die Stacheln des Kaktus selbst – und entlässt den Zuschauer mit vielen Denkanstößen.
Info: Bühnamit spielt Juli Zehs „Der Kaktus“, weitere Vorstellungen am 3.3. und 9.3. im Theaterhaus Rudi, am 10.3., 11.3. am Projekttheater, am 24.3. und 13.4. im Theaterhaus Rudi
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