Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ macht Lust auf die Saison am Staatsschauspiel
Das ist schon mal ein gelungener Einstand: Der neue Intendant des Dresdner Staatsschauspiels, Joachim Klement, überzeugt mit seiner Stückauswahl für den Spielzeitauftakt am Großen Haus. Zwar ist Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ nicht gerade ein Stück, das man auf Anhieb in Dresden verorten würde, doch hält es uns allen bitter ironisch den Spiegel vor. Denn Schnitzlers Text aus dem Jahr 1912 ist ein schonungsloses Plädoyer für differenzierte Betrachtung der Dinge und trifft in Dresden gerade zwei Tage vor der Bundestagswahl mitten ins Herz.
Bernhardi ist Gründer und Leiter eines medizinischen Instituts. Als er dort dem Pfarrer den Zutritt zum Zimmer einer sterbenden Patientin verweigert, weil diese im festen Glauben an ihre Genesung so glücklich ist wie nie zuvor, bringt er eine gesellschaftliche Lawine des Shitstorms ins Rollen. Die ethische Entscheidung eines Arztes, die sich über christliche Traditionen hinwegsetzt – zum Wohle der Sterbenden – wird zum Stein des Anstoßes und böser Verleumdungen, bis zum Prozess. Der Arzt (Fotos: PR/Sebastian Hoppe) wandert ins Gefängnis.
Die neue Hausregisseurin Daniela Löffner verleiht dem Werk, in dem allzu eindeutige Zuweisungen von Recht und Unrecht bald obsolet werden, mit einer kargen Klinikkulisse Zeitlosigkeit. Neben Wasser- und Desinfektionsspender stehen Schreibtisch, Stühle oder zwei Rollschränkchen in der Mitte (Bühne: Matthias Werner). Das Publikum ist sowohl auf der Bühne als auch im Parkett und im ersten Rang platziert, man sieht sich, fast wie im Spiegel. Das Ensemble tritt aus der vordersten Reihe nach oben. Keine Chance, dem Geschehen zu entrinnen.
Reduzierung der Szene gibt Text und Figuren Raum
Dabei gibt die Reduzierung der Szene dem starken Text von Schnitzler Raum. Anfangs geht es auf der Bühne lebendig zu. Später sorgen die ausführlichen, wenn auch sensibel ausgespielten Dialoge für ein paar Längen. Als scharfer Kontrast dazu erscheint der Frühlingsball der Ärzte, den Löffner wie eine bunte Walpurgisnacht mit Comicfiguren und einem wilden Tanz auf dem Tisch überzeichnet. In der Partygesellschaft sinken alle Schranken, fallen Tabus – da entblößt sich mancher, der sonst gern opportun sein Mäntelchen nach dem Wind dreht.
Schnitzlers Stück wurde in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts sofort von der k.u.k.-Zensur einkassiert. Er selbst hat Zeit seines Lebens immer wieder beklagt, dass das Werk missinterpretiert werde, weil er weder einen religiösen Konflikt darstellen, noch einen Kämpfer in den Fokus rücken oder sich auf eine politische Seite schlagen wollte. Es geht um die tiefe psychologische Zeichnung von Menschen, die eine schonungslose Sezierung der Gesellschaft mit sich bringt. Ein solches Stück lebt mit und von den Figuren – und Löffner eröffnet dem Ensemble mit ihrer Inszenierung großzügig die Bühne für sensible Charakterdarstellungen.
Raiko Küster als Gewinn fürs Ensemble
Großartig gelingt das vor allem Raiko Küster in der Rolle des Bernhardi. Er zeigt den Professor als smarten, humorvollen Mann, verleiht der Figur Natürlichkeit. Ein vertrauenswürdiger Typ, der seine Arbeit liebt, der die Verantwortung am Patienten über politische Ränkespiele stellt. Er ist einer ohne Dünkel, dafür aber mit Rückgrat! Trotz aller Verleumdungen bleibt er sich treu, lässt sich weder von Freund noch Feind in die eine oder andere Richtung schieben. Es ist großartig zu sehen, wie Raiko Küster den Bernhardi ruhiger, sprachloser werden lässt, angesichts des Gesinnungshagels, der immer heftiger auf ihn einprasselt. Sein Spiel wirkt nie künstlich, nie übertrieben. Ja, über diesen Zugang am Staatsschauspiel darf man in die Hände klatschen! Küster war zuletzt am Schauspielhaus Bochum engagiert – ein großer Gewinn für Dresden.
Im Vergleich dazu wirkt selbst ein Philipp Lux als Pfarrer etwas blass. Überhaupt überzeugen an dem Abend eher die neuen Gesichter wie Birte Leest, die der karrieregeilen Gesundheitsministerin kurze Momente der Menschlichkeit abtrotzt, oder Hendrik Heutmann, der dem Staatssekretär jenseits des Schreibtisches etwas Kumpelhaftes einhaucht. Thomas Eisen brilliert als unsympathischer Dr. Filitz – jener Typ Meckersack, der immer sofort auf andere eindrischt, ohne vorher zuzuhören. Christine Hoppe kann der wendehalsigen Dr. Adler zarte Kontur verleihen. Karina Plachetka wirkt dagegen in der Rolle der vorlauten Dr. Schreimann und als Journalistin eindimensional. Holger Hübner ist ein plumper Dr. Tugendvetter.
Bitteres Abbild einer zeitlosen Gesellschaft
Natürlich hat Bernardi auch Freunde: Dr. Cyprian (Hans-Werner Leupelt), Dr. Löwenstein (Betty Freudenberg), Dr. Pflugfelder (Moritz Dürr) und sein Sohn Oskar (Philipp Grimm) halten zu ihm, jedoch ohne ihn wirklich zu verstehen. Denn dieser Bernhardi will ja gar nicht die Welt verändern, er will niemanden bekehren oder von seinem Recht überzeugen. Er will einfach seinen Job machen, als Arzt den Menschen helfen, nach bestem Wissen und Gewissen. Dass daraus am Ende ein handfester Skandal wird, ist doch schon sehr denkwürdig – und Spiegel einer Gesellschaft, in der sich in mehr als 100 Jahren rein gar nichts geändert hat.
Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 24. und 30. September, 3., 6., 20. und 26. Oktober
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