Diplomprüfungen an der Hochschule für Bildende Künste
Montag um neun Uhr in der Hochschule für Bildende Künste (HfBK). Puder, Perücken, dazwischen dudelt ein weiß besprenkeltes Radio im Regal. Hier geht gerade ein Studium dem Ende zu. – Mit gruseligem Zerrmund und riesigen Pappmachébrüsten sitzt Norbert Scholz am Montagmorgen vor dem Schminkspiegel. Die angehende Maskenbildnerin Hanna Hackbeil tupft ihn von der Taille aufwärts mit weißer Creme ein. Scholz ist Teil ihrer praktischen Diplomprüfung an der HfBK und wird gerade zu einem lebenden Kunstwerk.
In einer Stunde soll Hanna Hackbeil als erste von insgesamt acht Maskenbildnern der HfBK ihre praktische Abschlussarbeit auf der Bühne präsentieren. Sie hat in drei Monaten vier Masken zu Hans Christian Andersens Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ angefertigt. „Ich hatte das Thema schon im Hinterkopf, weil mir die phantasievolle Unterwasserwelt reizvoll erschien“, sagt die 24-Jährige. Norbert Scholz hat die Rolle der Seehexe bekommen. Er ist einer von vielen Freiwilligen, die die Studenten jedes Jahr als Modelle für ihre Arbeiten suchen. Seit den frühen Morgenstunden lässt er sich von Hanna Hackbeil verwandeln. Die Künstlerin ist seit drei Uhr morgens in der Hochschule. „Die Zeit bis zum Auftritt um zehn ist sehr knapp bemessen“, sagt sie. Während sie bei Norbert noch mit der weißen Creme zu Gange ist, schminkt ihre Kommilitonin eine Edelhure für das Prüfungsthema „Moulin Rouge“. Im gesamten Keller wird heute getupft, gezupft, gepinselt und geklebt.
Eine Etage weiter oben warten die Kostüme. Dort bekommt Norbert Scholz ein paar storchenbeinrote Strumpfhosen verpasst. Sexy. Darüber muss er sich schwarze Netzstrümpfe stülpen, bevor die Tentakelperücke aufgesetzt wird. Die Seehexe ist nun fast perfekt. Jetzt heißt es aber Gas geben. In einer viertel Stunde soll das Meerjungfrauengespann auf der Bühne stehen. Hanna Hackbeil pudert und tupft bis zur letzten Minute. In der Aufregung dieses Morgens hat sie kaum Zeit, um auf Toilette zu gehen.
Im Zuschauerraum ist vom Stress hinter der Bühne nichts zu spüren. Kommilitonen und Absolventen vergangener Jahrgänge sind gekommen, um die Diplomarbeiten zu begutachten. An zwei Tagen werden die Masken der Studenten in kleinen Theaterstücken vorgestellt. Nun heißt es eintauchen in die Traumwelt aus Andersens Märchen. Norbert Scholz hat seinen großen Auftritt als Seehexe. Auf der Bühne fluoreszieren Mund, Tentakel und Brustwarzen im Schummerlicht. Ein höhnisches Lachen lässt er noch los, bevor er die Meerjungfrau in einen Menschen verwandelt.
(erschienen in Hochschulzeitung „ad rem“ am 07.07.2010)