Martin Grubinger begeistert bei den Musikfestspielen
Es ist eine Begegnung zwischen klassischer Kammermusik und exotischen Perkussionrhythmen, die die Dresdner Musikfestspiele am Donnerstagabend (31.5.) unter dem Motto „Martin Grubinger & Friends“ in der unkonventionellen Kulisse des gemeinhin unschön „Eventwerk“ getauften Tanztempels im alten Industriegelände bescheren. Im ungewöhnlichen Mittelpunkt des Ganzen steht der Salzburger Perkussionist Martin Grubinger (Foto: PR/Oliver Killig). In einfache schwarze Hose und T-Shirt gekleidet, entspricht der 29-Jährige weder dem Typ eines geschniegelten österreichischen Orchestermusikers noch dem des abgedrehten Schlagzeugrockers. Für die beeindruckende Begegnung von Schlagzeug mit Kammermusik hat er sich in Dresden seine Freunde und Kollegen Roland Greutter (Violine), Christopher Franzius (Violoncello), Per Rundberg (Klavier), Martin Grubinger sen. und Leonard Schmidinger (beide am Schlagzeug) mit auf die Bühne geholt.
Mit Viktor Dereviankos Bearbeitung von Schostakowitschs Sinfonie Nr. 15 A-Dur beginnt das Konzert dabei zunächst noch nahezu klassisch. Die Hauptperson, Grubinger, sitzt jedoch, während sich der erste Schostakowitsch-Satz langsam durch Klavier- und Streicherpartien hindurch entfaltet, zunächst noch seelenruhig da, scheint sich jede Note konzentriert auf der Zunge zergehen zu lassen. Es dauert einige Takte, bis er selbst die Schlagzeugstöcke in die Hand nimmt, sich noch einmal in Positur rückt, um zunächst weitere Takte verstreichen zu lassen und schließlich einen Trommelwirbel anstimmt. Aus der Vogelperspektive der Galerie betrachtet, wirkt das Konzert an dieser Stelle fast wie ein musikalisches Schauspiel, wie die Filmdokumentation eines Schlagezeugers und seiner Mannschaft – beinahe ironisch. Als es in dem mit Adagio-Largo überschriebenen zweiten Satz draußen plötzlich zu regnen beginnt, ist vom Perkussion zwar noch immer nicht viel zu hören, die Stimmung im Eventwerk aber perfekt. Die Töne streichen im melancholischen Takten dahin, während es vor den Türen leise plätschert. Ein atmosphärischer Höhepunkt. Auch jetzt sitzt Grubinger wie unberührt an seinem Instrument, hochkonzentriert, bis die Ruhe des Satzes in einer musikalsichen Explosion mündet, zu der auch er das Seine beiträgt. Alle sechs Musiker sind dabei aufs Feinste aufeinander eingestimmt, die Übergänge gelingen absolut präzise – sodass der Eindruck eines sorgfältig gewebten Klangteppichs entsteht, den man akustisch betrachtet. Dieses sehr spannungsvolle Spiel ist voller Kraft. Allein im vierten Satz verliert es einen kleinen Augenblick lang an Brillanz, jedoch kaum merklich. Nein, langweilig wird es nicht – und doch ist schnell klar, dass Schostakowitsch hier allenfalls das Aufwärmstück ist. Denn Meister Grubinger hat bisher kaum Möglichkeit, die großen Versprechen des Programmheftes – das ihn als einen der derzeit weltbesten Trommler bezeichnet – einzulösen, sich selbst in seiner Kunst zu entfalten. Man ahnt vor der Pause: Da kommt noch was!
Und so ist es auch: Während die Anwesenden im Industriegelände schnell frische Regenluft schnuppern, wird die Bühne komplett umgebaut. Mehrere Schlagzeuge, darunter allein zwei riesige Perkussion, stehen jetzt auf dem Podest. Der zweite Teil beginnt dann mit „Rebonds B“ von Iannis Xenakis (1922-2001), einem Stück, das Martin Grubinger in einer flotten Anmoderation kurz als den „Klassiker für Schlagzeuger“ bezeichnet. Jetzt ist der Virtuose in ihm erwacht. Das Stück ist laut und mitreißend zugleich. Grubinger bietet es in beeindruckender Weise dar. Endlich bekommt er seinen Soloauftritt, entführt das Publikum nun in seine Welt der Schlagzeugmusik. Er hat sein Handwerk verinnerlicht, das sieht und hört man schon in den ersten Takten. Die Rhythmen fliegen nur so dahin und am Ende ist man überzeugt: Dieser Mann macht aus selbst dem Küchenschrank seiner Oma noch Musik! Tatsächlich verblasst der brillante Schostakowitsch des ersten Teils bei dieser Darbietung nun zum müden Aufwärmer.
Das folgende Violinsolo, eine Sonata von Eugène Ysaye (1858-1931), soll die Gemüter anschließend wieder etwas beruhigen. So wundervoll Roland Greutter das Stück auch interpretiert, gelingt es ihm jedoch nur schwer, gegen den Eindruck, den Grubinger mit seinem Perkussionsolo hinterlassen hat, anzugeigen. So kommt dem eigentlich schönen Violinsolo ungerechterweise eher eine szenische Funktion zu, nämlich, die die Schlagzeugsolos etwas aufzulockern, eine Ruheinsel inmitten der dynamischen Explosionen zu schaffen, die Grubinger mit seinem Instrument entzündet hat.
Das Ende des Konzertes ereilt das Publikum dann mit einer Programmänderung. Aus „logischen und arrangementtechnischen Gründen“ habe man sich entschieden, anstelle einer Bearbeitung von Leonard Bernsteins „West Side Story Medley“ nun die „Prism Rhapsody“ von Keiko Abe zu präsentieren, sagt Grubinger. Das Stück wird sonst mit großem Orchester gespielt, in dieser Version jedoch vom bloßen Klavier begleitet. Hier zeigt sich Grubinger wieder von einer anderen Seite. Er entlockt seinem Percussion auch gefühlvolle Töne, spielt in harmonischem Einklang mit dem Klavier und schafft es dabei, aus einem puren Schlagzeugrhythmus auch noch Melodie herauszukitzeln. Er schlägt in rasender Geschwindigkeit, mit unglaublicher Geschicklichkeit – und schafft es dennoch mit Per Rundberg am Piano eine spannungsvolle Harmonie aufzubauen. Nicht wie sonst üblich trägt hier das Schlagzeug die Klavierstimme, sondern es scheint umgekehrt zu sein.
Zum Schluss gibt es in voller Besetzung noch eine weitere Facette von Grubingers Schlagzeugkunst. Das „Piazzolla Medley“ von Astor Piazzolla (in einer Bearbeitung von Martin Grubinger) ist mit zwei Percussion, Violoncello, Violine und Klavier besetzt und besteht aus drei verschiedenen Tangos, in denen das Schlagzeug jedoch weniger heraussticht, als vielmehr als wichtiges Element innerhalb dieses Ensembles erscheint. Von Klassik ist jetzt keine Spur mehr, die Tangos bewegen sich stilistisch schon eher in Richtung Jazz. Grubinger spielt und klatscht dabei nach wie vor, als hätte er selbst den Rhythmus erfunden. Und auch hier gehen die Instrumentengruppen gekonnt Hand in Hand. Bleiben zunächst noch Piano und Streicher vordergründig, so bricht an anderer Stelle plötzlich das Percussion hervor, als wäre es so eben aus einem Dornröschenschlaf erwacht. Das ist jazzig, poppig, mitreißend und provoziert am Ende einen begeisterten Schlussapplaus, der mit einer Zugabe, einem Ragtime von Kurt Engel, belohnt wird. Überraschend grandios.