„Baal“ an den Landesbühnen Sachsen
„Ihr müsst euch besaufen!“, sagt Baal zu Johannes und dessen Freundin Johanna, um sich wenig später mit ihr auf seiner eigenen Matratze zu suhlen (Foto: PR/Detlef Ulbrich). Als er nichts mehr von ihr wissen will, steigt sie schließlich ins Wasser – und die nächsten Mädels landen in Baals Bett. „Baal“, die Geschichte vom zügellosen Wüstling, dem Leidenschaftsgetriebenen, das Jugendwerk Bertold Brechts, feierte am 19. April in einer Inszenierung von Arne Retzlaff umstrittene Premiere an den Landesbühnen Sachsen.
René Geisler zeigt Baal hier als einen blassen, stoisch schmunzelnd am Mirko stehenden Popstar. Ein verwöhnter Sonderling, der vieles will und auf niemanden Rücksicht nimmt. Geisler gibt diesen, dem Dionysischen verfallenen, Baal als stets distanzierten Egoisten, dem alles egal ist, außer das eigene Vergnügen. Für die Lieder, die er ab und an – nur, wenn er Lust dazu hat, versteht sich – schmettert, zeichnet die Band MARY & THE HOLY BALLS verantwortlich, die im Hintergrund der welligen Lamellenwand auf der Bühne (Ausstattung: Stefan Wiel) für musikalische Würze sorgt. Und so säuft Baal sich durchs Leben, immer auf der Suche nach neuen Frauen, die ihn – so lange es ihm Spaß macht – dabei begleiten.
Zuletzt ist es Sophie, die Sandra Maria Huimann zunächst noch als stolze, sogleich aber den Reizen des smarten Baal erlegene Lady darstellt. Die am Ende dank Schwangerschaft und Trennung von Baal aber dennoch zum Untergang verurteilt ist. Und da ist da noch Ekard, der beste Freund des zügellosen Künstlers. Michael Berndt gibt diesen lebensfrohen, anfangs noch vernünftigen, bald aber doch von Baal, der mit ihm eine homoerotische Liebschaft beginnt, Verdorbenen mit Leidenschaft – bis Baal ihn schließlich ermordet und sich selbst im schwarzen Regen wiederfindet.
Da ist es vorbei mit dem zunächst gehuldigten Popstar, da will niemand mehr etwas von ihm wissen. Der Egoist zur miteiderregenden Fratze verzerrt. Eine Null, für die sich niemand länger interessiert. Das ausschweifende Leben kehrt sich in Selbstzerstörung um. Die edle Gesellschaft wendet sich nun brüskiert ab, zieht sich zurück hinter ihre buntbestrahlte Lamellenwand, bis die verbliebene Band Baals Selbstmitleid gänzlich übertönt. – Und im Stammhaus Radebeul haben die ersten aus dem Publikum diese Inszenierung bereits empört verlassen.
Warum, ist eigentlich nicht so ganz klar. Denn Baals Stationen, vom Salon übers Wirtshaus, eine Travestiebar bis hin zum Schlafzimmer, sind alle samt sehr ideenreich, witzig und vollgepackt mit Andeutungen umgesetzt. Die Stimmungen auf der Bühne wechseln in bunten Farben – ein vielfältiger Reigen aus Musik, Licht und gutem Schauspiel, bei dem immer wieder ein paar (auch vulgäre) Textausschnitte Brechts via Videoprojektion über die Kulissen flimmern. Theater hat an den Landesbühnen Sachsen wohl selten so viel Freude gemacht, wie in dieser Version von Brechts Jugendwerk, das hier vielleicht an vielen Stellen überzogen, dafür aber niemals langweilig wird.
Nein, bequem ist diese Inszenierung, die sich unzählige Freiheiten gestattet und dabei viel Raum zum Nachdenken lässt, ganz bestimmt nicht. Denn Retzlaff verzichtet in seiner letzten Inszenierung als Radebeuler Schauspieldirektor auf klare Wertungen, ebenso wie auf einen Mitleidsbonus für den wilden Antihelden Baal. Er setzt vielmehr auf die Phantasie seines Publikums, das hier frei nach Belieben Analogien ziehen darf – und auch kann.
Nicole Czerwinka
„Baal“ an den Landesbühnen Sachsen, wieder am 27.4., 19.30 Uhr im Stammhaus Radebeul, am 8.5., 19.30 Uhr im Theater Meißen und am 06.06., 19.30 Uhr im Stammhaus Radebeul