„Emilia Galotti“ am Staatsschauspiel Dresden
„Verführung ist die wahre Gewalt“, sagt „Emilia Galotti“ in Gotthold Ephraim Lessings gleichnamigem Trauerspiel (1772). Und auch Sandra Strunz verführt mit ihrer Inszenierung des Klassikers, die am Sonnabend (5.10.) im Schauspielhaus Dresden Premiere feierte, die Besucher. Strunz lässt das Stück zu einem sinnlichen, bildstarken Theatererlebnis werden, transportiert den Stoff um Macht, Gewalt, Verführung und Freiheit geschickt auf eine moderne Bühne, ohne dass die Vorlage Schaden nimmt.
Allein die Kulisse (Volker Hintermeier) ist betörend, geheimnisvoll und faszinierend zugleich. Ein großes Metallgerüst erfüllt die Bühne. Türen aus verspiegeltem Glas schwanken auf und wieder zu, werden zum Spiegel, Schaufenster oder tiefem Schlossraum. Das Licht ist mal dämmrig, mal gleißend metallisch. Anfangs können sich die Zuschauer noch selbst im Spiegel sehen, später werden sie von diesem Bühnenbild förmlich hineingezogen in das verhängnisvolle Machtspiel des Prinzen.
Zunächst jedoch betritt Lea Ruckpaul als Emilia die Bühne. Zerbrechlich, fast wie eine Porzellanpuppe wirkt sie am Anfang, entwickelt sich jedoch bald hin zu einem ungestümen Teenager, der dem Werben des Prinzen am liebsten sofort verfallen würde, sich aber dann für ihren Verlobten Appiani (Christian Clauß) entscheidet. Der Prinz jedoch möchte die junge Emilia unbedingt für sich gewinnen und arrangiert mit seinem Kammerherrn Marinelli – Ben Daniel Jöhnk gibt ihn als schleimigen Gehilfen im Ganzkörperanzug – einen Überfall auf die Hochzeitskutsche, um Emilia zu entführen.
Sebastian Wendelin ist ein selbstgefälliger Prinz, eine Art aalglatter und skrupelloser Seelenfänger. Der musikalisch inszenierte Schrei diverser Frauen auf seinem Schoss gehört zu den einprägsamen Momenten der Inszenierung. Rainer Süßmilch hat eine rauschhafte Musik geschaffen, die das Spiel auch an dieser Stelle stimmungsvoll würzt, wobei Luisa Mühl am Schlagzeug gelungene Akzente setzt. Die Spiegelfenstertüren geben nun einen diffusen Blick auf den hinteren Teil der Bühne frei, dort findet eine Art Maskenball statt, tanzen und räkeln sich puppenhafte Frauen mit Federbüschen und langen, transparenten Röcken. In ihrer Mitte der Prinz, in blauem Hemd und einer merkwürdigen, aus schwarzem Spitzenstoff gefertigten Hose (Kostüm: Daniela Selig). „Kann sein, ich habe euch wirklich geliebt“, lamentiert er, doch nun ist Emilia das Objekt seiner Begierde.
Sie scheint sich dem prunkvollen Rausch auf diesem glänzenden Schloss schnell zu ergeben, lässt sich vom Prinzen ihr Hochzeitskleid nehmen und den nackten Körper mit goldener Farbe einpinseln. Anders ist da die Gräfin Orsina (Karina Plachetka) gestrickt, die bisherige Geliebte des Prinzen. Nur sie kann seinen tentakelhaften Anziehungskräften offenbar entfliehen, während Emilia und selbst ihre Eltern machtlos bleiben. Tom Quaas und Christine Hoppe nimmt man das besorgte, auf den Ruf und das Wohl der Tochter bedachte Elternpaar gern ab. Hoppe ist dabei eher die selbstverlorene Lady, während Quaas als polternder, aufbrausender, am Ende aber doch hilfloser Vater auftritt.
In den letzten Szenen ähnelt das Schloss dann plötzlich einer Art Fotomodell-Schmiede, die Spiegel werden kurzzeitig zu Schaufenstern, in denen sich eine eigentlich tote bunte Welt bewegt, gruselig und faszinierend zugleich. Und Lea Ruckpauls Emilia ist jetzt nicht mehr zerbrechlich oder ungestüm, sondern eher verzweifelt. Hin und hergerissen zwischen der Verführungskunst des Prinzen und dem Kampf um Freiheit bittet sie ihren Vater – und hier wird es richtig berührend –, ihr das Leben zu nehmen.
Nach gut zwei Stunden senkt sich der Vorhang über dem tausendfach inszenierten Trauerspiel. Bei aller Sinnesverführung durch die Bühnenspiegelbilder bleibt nach dem aus heutiger Sicht völlig unverständlichen Ende dennoch ein verblüfftes Fragezeichen: Warum tötet ein Vater seine Tochter? Gerade darin liegt aber vielleicht die Stärke dieser Inszenierung, dass sie Andeutungen gibt, die Raum für (auch heutige) Interpretationen lassen, jedoch niemals so konkret wird, dass Lessings Text leidet.
Lessings „Emilia Galotti“ am Schauspielhaus Dresden, wieder am 07.10., 16.10., 14.11., 26.11., 28.12., 08.01. und 15.01., jeweils 19.30 Uhr
Ein Kommentar
Das ist eine sehr schöne Kritik. Vielen Dank. 🙂