Musikfestspiele in der Hochspannungshalle der TU
Die Chemie hat sofort gestimmt, sagt Hans Müller-Steinhagen, Rektor der Technischen Universität Dresden (TUD). Ihm und Jan Vogler, dem Intendanten der Dresdner Musikfestspiele, sei schon nach dem zweiten Glas Wein klar gewesen, dass sie etwas zusammen machen wollen. Das erste Ergebnis dieser neuen Kooperation, die in Dresden nun exzellente Wissenschaft mit hochwertigen Konzerten verbinden soll, war gestern (26.5.) unter dem Titel „Musikalische Hochspannung“ auf dem Campus zu erleben – und ebenso experimentell wie faszinierend anzuhören und -schauen.
Acht Junge Künstler haben dabei zusammen mit dem renommierten New Yorker Orchester „The Knights“ ein zweiteiliges Konzerterlebnis ganz eigener Art kreiert. Es war gleichzeitig die Premiere für die Kooperation „Sound und Science“ der Dresdner Musikfestspiele mit der TUD sowie für das erste Projekt der „Bohème 2020“, einer Gruppe aus jungen Künstlern, die beim diesjährigen Festival die Möglichkeit bekommen, künstlerische Freiräume auszuloten und mit kreativem Leben zu füllen.
Das taten sie zunächst in der Hochspannungshalle der TUD mit Igor Strawinskys (1882-1971) „Geschichte vom Soldaten“. Das fünfteilige Werk über den Teufelspakt eines Soldaten wurde von „The Knights“ dabei in einer Kammermusikversion für Klarinette, Violine und Klavier dargeboten. Die Künstler Altamasch Noor (Soldat), Carolin Wedler (Teufel), Marita Matzk (Prinzessin) und Theresa Hahl (Vorleserin) setzten die Geschichte dazu mittels Stimme, Schauspiel, Pantomime und Tanz auch bildlich in Szene. Die szenischen Teile wechselten mit der Musik, überlagerten diese zeitweise auch und stellten das eigentliche Strawinsky-Werk dabei über weite Strecken in den Hintergrund.
Das Ganze klang aufgrund des Halls in der Hochspannungshalle – vor allem wenn die gesprochenen Teile die Musik überlagerten – nicht immer ganz überzeugend und insgesamt schien das Verhältnis zwischen Spiel und Musik noch etwas unausgewogen. Am Ende fesselte jedoch gerade diese ungeschliffene Leidenschaft, mit der die Bohème-Künstler ihre Märchenstunde mitten im Wissenschaftsraum inszenierten. Vor allem zum Schluss, als der Teufel seinen Tribut dann doch vom Soldaten einfordert, nahm das Spiel aller Beteiligten noch einmal richtig Fahrt auf – und ließ ein begeistert applaudierendes Publikum zurück.
Der zweite Teil des Konzertes führte nach einem kurzen Spaziergang über den Campus in die Altana Galerie der TU Dresden – und hier kam anschließend bis in die späten Abendstunden noch richtige Bohème-Atmosphäre auf. Die jungen Künstler verführten in der Kunstgalerie der TUD mit Lichtinstallationen und sphärischen Klängen (Komposition: Raquel Garcia-Tomás). Während sich die Gäste an der Bar mit Bier und Wein versorgten, spielten „The Knights“ indes noch einmal auf. Nun stand – ohne szenische Interventionen – Philip Glass‘ (*1937) „The Orphée Suite“ in einer Bearbeitung von Eric Jacobsen auf dem Programmzettel – während sich die Stimmung auf den drei locker bestuhlten Etagen der Galerie irgendwo zwischen künstlerisch verträumtem Salonflair und legerem Partyambiente einpegelte.
Getreu dem Motto „Nach dem Konzert ist vor der Kunst“ ließen die Bohème-Künstler anschließend – weder Jan Vogler noch Hans Müller-Steinhagen wussten zuvor, was nun kommt – Lichtinstallationen (Judith Michael) und Videosequenzen (Tung-Yen Chou) als „works in progress“ über die Wände der Galerie flimmern. Diskokugellicht und Popmusik (DJ: Patrick Karschunke) fügten sich ebenso problemlos in dieses sinnlich berauschende Gesamtkonzept wie das virtuose Violinspiel von Caroline Goulding aus Boston, bei dem die Gespräche für einige Minuten sogar verstummten und alle Anwesenden gefesselt von dem Spiel der 22-Jährigen innehielten.
Die jungen Künstler unterschiedlichster Herkunft und Genres bauten so eine phantastisches Bohème-Quartier in der Galerie, mit der sie mitten auf dem TU-Campus wie in eine andere Welt entführten. Auch Uni-Rektor Hans Müller-Steinhagen zeigte sich fasziniert von dem Ganzen. Dies sei ein Erlebnis, wie er es in vier Jahren an der TUD noch nicht erlebt habe, sagte er lächelnd – und mischte sich entspannt und sichtlich erfreut über diese gelungene erste Kooperation aus exzellenter Musik und Wissenschaft unter die Anwesenden. Fazit: Experiment geglückt.
Linktipp: www.boheme2020.de
4 Kommentare
Ein gelungener Abend!
Interessant zu wissen ist auch, dass die jungen Künstler erst vier Stunden vor Vorstellungsbeginn auf die Musiker trafen. Hut ab!
Erfrischend anders!
Wunderbar – schade, dass wir nicht dabei sein konnten