Lehárs „Zarewitsch“ an der Staatsoperette Dresden
Er verschmäht die Frauen und zieht sich lieber in düstere Turnräume zurück, anstatt zu küssen. Franz Lehárs „Zarewitsch“ kann erst durch die junge Tänzerin Sonja wachgeküsst werden. Doch in Robert Lehmeiers Inszenierung, die am Freitag (10.10.) an der Staatsoperette Dresden Premiere feierte, ist „Zarewitsch“ Aljoscha tatsächlich eher am männlichen, denn am weiblichen Geschlecht interessiert. Sonja wird so zur engen Vertrauten, Freundin, geheimen Retterin, die ihn vor der geschwätzigen Hofgesellschaft mehr als nur einmal rettet und insgeheim ihren eigenen Traum von Liebe träumt.
Es ist ein mutiger, ein operettenuntypischer Ansatz obendrein, den Lehmeier in seiner Regie verfolgt. Dass er damit auch die aktuelle russische Politik, die selbst im Jahr 2014 vehement gegen Homophobie wettert, kritisieren möchte, scheint offensichtlich. Zumal er im zweiten Akt ein riesiges Konterfei von Wladimir Putin im Spiegelsaal seines Zarenreiches (Bühne und Kostüm: Markus Meyer) entblättert. Das ist eine spannende moderne Lesart, die dem oft als verstaubt geltenden Genre der Operette durchaus guttut.
Richard Samek (Foto: PR/Kai-Uwe Schulte-Bunert) gibt einen grüblerischen, fast misanthropischen Zarewitsch, dem es sichtbar schwer fällt, sich den Gefühlen für einen Tänzer hinzugeben. Er überlässt die schwelgerische Lyrik besonders im berühmten Wolgalied jedoch zunächst lieber dem Orchester, kann eher in den Duetten Leidenschaft und Emotion zeigen. Mit Astrid Kessler als Sonja hat ja am Premierenabend eine faszinierende Stimme an seiner Seite, die sowohl leidenschaftliche, als auch verzweifelnde und tragisch berührende Seiten ihrer Partie gesanglich wunderbar auszuloten vermag.
Im Zusammenspiel der beiden offenbart sich jedoch auch die Gefahr von Lehmeiers Interpretation. Denn weil die beiden hier eben kein Liebespaar sind, können sie auf der Bühne nicht zeigen, was in der Musik klar angelegt ist. Diese behauptet schließlich eben jene sehnsuchtsvolle Liebe zwischen Aljoscha und Sonja, auch wenn die Dialoge im Libretto von Béla Jenbach und Heinz Reichert durchaus andere Deutungen zulassen. Allerdings weiß Lehmeier so geschickt aus dem typisch verklärten Glanz der Operette zu schöpfen, dass er diese Hürde relativ gut kaschieren kann. Da tänzeln Sonja und Aljoscha im ersten Akt einmal charmant mit Champagner über die Drehbühne, oder es taucht die pompöse Hofgesellschaft im Hintergrund auf, da setzt er bunte Ballette (Choreografie: Christopher Tölle) ein und streuselt mit dem Ehepaar Mascha und Iwan Humor in die russische Sehnsucht.
Jeannette Oswald als Mascha und Andreas Sauerzapf als Leiblakai Iwan sind entzückend und bilden vom ersten Akt an das augenzwinkernde Gegenbild zum Zarewitsch und seiner Sonja. Sie nehmen das harte Eheleben, nicht immer romantische eher auf die leichte Schulter – der Frühling hat eben auch für diese beiden nur einen Mai. Angesichts solcher Gassenhauer muss man sich natürlich schon fragen, was bei Lehárs Musik eigentlich überhaupt schief gehen könnte. Sicher nicht der Handlung wegen eroberte sein oft als schwelgerisch verschriener „Zarewitsch“ nach der Uraufführung 1927 in Berlin allein in der Spielzeit 1927/28 über 100 deutschsprachige Theaterbühnen.
Andreas Schüller bringt diese fast opernhafte Musik – Lehár soll auch von berühmten Italienern wie Puccini inspiriert worden sein – mit dem Orchester der Staatsoperette Dresden schwungvoll zum Klingen. Er spielt mit der Dynamik, lässt russisches Temperament mitreißend aufbrausen oder berührt sachte mit eben jener sehnsuchtsvollen Melancholie, die wohl nur eine unerfüllte Liebe musikalisch aufbieten kann. Letztere findet im Schlussbild ihren Höhepunkt, wenn Aljoscha sich nach dem Tod des Zaren schließlich doch pflichtbewusst der Staatsräson ergibt, seine Gefühle dem Wohl „heiligen Russland“ unterordnet – und Sonja mit seinem Tänzerfreund allein am dunklen Bühnenrand zurückbleibt.
Nicole Czerwinka
Franz Lehár: „Der Zwarewitsch“ an der Staatsoperette Dresden, wieder am 14.10., 19.30 Uhr, 15.11., 19.30 Uhr, 16.11., 15 Uhr, 3./4.12., 19.30 Uhr