Bürgerbühne zeigt einen packenden „Katzelmacher“
Die Münchner Vorstadt, das ist am Kleinen Haus Prohlis oder Gorbitz. Die Figuren aus Rainer Werner Fassbinders Film „Katzelmacher“ (1969), das sind an der Bürgerbühne des Staatsschauspiels junge Menschen aus Dresden. Robert Lehniger inszeniert die Theaterversion auf der Bühne 3 unterm Dach in einer fließend ineinander übergehenden Raum-Video-Konstellation (Fotos: PR/Matthias Horn).
Er gönnt sich und seinem Ensemble viele Anleihen aus dem Film. Zu allererst mal die etwas flapsig, dialektgefärbt-bayernde Vorstadtsprache, die die jungen Laiendarsteller richtig gut beherrschen. Für Sächsisch ist da kein Platz – und auch keine Not. Die Themen, die Film und Stück behandeln, sind schließlich nicht von Orten abhängig, wenn auch von Milieus geprägt – sie sind beinahe universell.
Fassbinders Monotonie plus Abwechlsung durch Tanz und Technik
Denn so richtig zufrieden mit seinem Leben ist im „Katzelmacher“ keine der Figuren. Alle drehen sich in öder Alltagstristess, Perspektivlosigkeit und, ja, nahezu Armut um das liebe Geld und die liebe Liebe – oder was man eben dafür hält. Marie jedenfalls träumt von dieser Liebe, ist allerdings mit dem rohen Erich zusammen, der schon im Gefängnis saß. Die hübsche Rosy macht es für Geld mit Franz, weil sie doch einmal Schauspielerin werden will. Und Paul schlägt die schwangere Freundin Helga – und schläft (ebenfalls für Geld) mit Klaus (in einer Gastrolle auf Leinwand: Philipp Lux). Die dicke Gunda kriegt scheinbar außer blöden Sprüchen nie einen ab. Peter lässt sich indes von der strengen Elisabeth aushalten. – Die wiederum bringt unbewusst Bewegung ins Geschehen, indem sie den griechischen Gastarbeiter Jorgos als (blechenden) Untermieter aufnimmt.
Fassbinders typische Leinwandmonotonie wird auf der Bühne gut transportiert, gleichzeitig aber immer wieder von den Geschützen der modernen Technik, die Lehniger auffährt, unterbrochen. Da ist eine Kamera, die die Darsteller beim Spaziergang im Viertel filmt, der Zuschauer sieht dies dann durch einen großen Projektionsrahmen, fast doppelt – eine interessanter Trick. Die Videoprojektion dient aber auch als Vertiefung der Szene: drinnen, draußen, Film und Realität wechseln sich so gekonnt ab, das bringt ein gewisses Tempo ins Spiel. Emmanuel Obeya hat dazu intermezzoartige Choreografien geschaffen, die wie kleine Performances wirken. Die Kostüme von Irene Ip – und das soll gewiss kein Vorwurf sein – könnten auch aus Läden wie Primark, H&M oder New Yorker stammen.
Eine Welt aus bezahlter Liebe und liebevollem Hass
Der Grieche wird bald zum erotischen Eindringling, und bei Lehniger natürlich als Salafist beschimpft, schließlich verprügelt. Ändern wird sich dadurch aber nichts. Ausbrechen ist das zwar Ziel, es scheint für die meisten der Figuren jedoch unerreichbar. Und genau diese Hoffnungslosigkeit, die gleichzeitig in einer scheinbar selbstverständlichen Hinnahme des Systems gipfelt, bringen die zehn Dresdner Bürgerbühnendarsteller ganz wunderbar auf den Punkt. Es ist berührend und aufrüttelnd, wie sie die Figuren im Schlamm ihrer Existenz nach etwas Verwertbaren wühlen lassen, wie sich die Gruppe selbst oft zerfleischt, ohne jedoch zugrunde zu gehen – ja, fast so als müsse sie es, um am Leben zu bleiben. Von einer kurzen Aufwärmphase zu Beginn abgesehen, nehmen sie den Zuschauer mit in diese Welt aus bezahlter Liebe und liebevollem Hass.
Na klar. Es ist nicht explizit Dresden, was sie hier zeigen. Es ist weder Pegida noch Gorbitz oder Prohlis – und doch auch ein Stück von alldem. Es ist trotzdem oder gerade deshalb packendes Gegenwartstheater, nah am Film, aber vielleicht sogar noch näher an der Realität. Und das Schönste daran ist: Man muss Fassbinder nicht mal mögen, um Gefallen an diesem Dresdner „Katzelmacher“ zu finden. Verdientes Bravo!
Bürgerbühne Dresden: „Katzelmacher“, wieder am 28.12.14 und 2.1., 17.1.15, jeweils 20 Uhr