Friedrich Dürrenmatts „Panne“ am Kleinen Haus
Es duftet nach Bratensoße und frisch belegten Schnittchen. Die Tafel, an der vier alte, tattrige Herren sitzen, ist mit einem blütenweißen Tischtuch bedeckt. Gerade als das Zimmermädchen einen edlen französischen Wein einschenken will, passiert draußen eine „Panne“. So beginnt das gleichnamige Stück von Friedrich Dürrenmatt in der Inszenierung von Roger Vontobel am Kleinen Haus Dresden. Doch die vermeintliche Tischordnung trügt – schon bald wird sie sich in ein heilloses Chaos, eine Essensschlacht mit Prozesscharakter verwandeln.
Dürrenmatt legt in diesem tragisch-grotesken Stück die Untiefen der menschlichen Seele bloß. Seine tolle Essenstafel (Fotos: PR/David Baltzer) ist in Wirklichkeit ein privates Gericht, ein Spiel, aus dem bald Ernst wird. Denn noch bevor vom rothaarigen Zimmermädel (Annedore Bauer) der erste Gang aufgetafelt wird, tritt der Pannenfahrer Alfredo Traps ein (Ben Daniel Jöhnk) ein, für den es zunächst wie Glück im Unglück scheint, dass er dank Panne am üppig gedeckten Tisch dieser illustren Altherrenrunde Platz nehmen darf. Traps im rosa Jackett, den Ehering am Finger, den Schlips um den Hals gebunden (Kostüm: Ellen Hofmann), ist Textilvertreter, verheiratet, grundsolide, durch die Autopanne kaum erschüttert.
Ben Daniel Jöhnk als arroganter Jungspund
Ben Daniel Jöhnk zeigt ihn anfangs voll jugendlicher Unbeschwertheit. Sein Traps ist ein dynamischer Jungspund, ein bisschen arrogant vielleicht, der das Gerede der alten Herren um Prozesse, Opfer und Angeklagte zunächst nicht wirklich ernst nimmt. Sehr bald versuchen die ihn nämlich über den Grund ihrer Zusammenkunft aufzuklären. Die vier altgedienten Juristen – Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Henker – nämlich stellen bei Speis und Trank einmal in der Woche Gerichtsverhandlungen nach. Für den Abend fehlt ihnen jedoch noch ein Angeklagter, den nun Traps mimen darf.
„Ein Verbrechen lässt sich immer finden“, sind die Greise überzeugt, während sie Wein auf weiße Westen sabbern und sich zitternd Braten auf die Teller schaufeln. Und so beginnt, was Dürrenmatt als provokante Groteske auf den Menschen per se schrieb: Ein perfides Spiel um die Schuld eines eigentlich Unschuldigen, der am Ende doch zum Schuldigen wird. Das Witzige daran: Je mehr sich die Alten in ihren konstruierten Fall verstricken, je mehr sie Traps in seine Schuld hineinargumentieren, desto mehr drehen sie auf – fast scheint es, als sei das groteske Prozessspiel ein Jungbrunnen für sie.
Mehr als nur ein Spiel mit Worten
Vontobel inszeniert hier aber nicht bloß ein hintersinniges Spiel mit Worten, sondern auch ein Spiel mit dem Essen sowie mit dem Alter. Vor allem Albrecht Goette als zittriger Richter Wucht und Ahmad Mesgarha als tattriger Staatsanwalt Zorn gelingt dieses hervorragend. Holger Hübner hingegen bleibt weniger als Greis, denn als ständig meckernd ermahnender Strafverteidiger Kummer in Erinnerung, während Jochen Kretzschmer als Henker Pilet lange im Hintergrund verharren muss, bevor er auch spielerisch wenigstens ein bisschen zum Zuge kommen darf.
Annedore Bauer dagegen entspricht allen Klischees der französelnden Kellnerin, die ständig mit noch viel edleren Tropfen herein schneit und fettes, deftiges Essen dazu serviert. Inzwischen schaukelt sich der fingierte Prozess auf und trifft bis ins Mark. Bald schon wird Traps des Mordes an seinem ungeliebten Chef bezichtigt, gesteht zu allem Übel auch noch eine Affäre mit dessen junger Frau – und macht sich noch verdächtiger vorm Altherren-Privatgericht. Kurios, krude und komisch führt das deftige Dinner schließlich hinein in ein wildes Panoptikum, das Vontobel mit Wonne fast brutal ausspielen lässt.
Derbe Essensschlacht auf der Bühne
Da spritzt bald nicht mehr nur ein bisschen Wein über das weiße Tischtuch, da matschen Hände und Köpfe im Kuchen, beinahe muss die adrette Kellnerin gar als Geliebte herhalten. Endlich, endlich ein Regisseur, der am Staatsschauspiel mehr als nur Text inszeniert, möchte man beinahe in diese dreckige Küchenschlacht rufen – entscheidet sich letztlich aber doch dafür, sich angeekelt wegzudrehen. Denn es ist zweifelsohne übertrieben, überzogen und schlicht böse, was Vontobel auf die Bühne bringt – insgeheim hofft man sogar, dass die Lebensmittel, die das Ensemble über die Bühne manscht, keine echten sind!
Ein paar Kürzungen hätten das Gerichtsgemetzel vielleicht zum Schluss ein wenig erträglicher gemacht. Fast wie ein Fremdkörper wirkt zudem die überbordend hymnische Musik, die das groteske Geschehen (mit Anklang an schlechte Filmsketche) auf eine gekünstelte Spitze treibt. Und dennoch: Es scheint, als wäre es genau das, was Dürrenmatt gewollt hätte. Als habe der Autor eben jenes perfid abstoßende und doch so herrlich unterhaltsame Chaos im Sinn gehabt, das er 1955 ursprünglich als Hörspiel konzipierte und mit dem schlichten Titel „Die Panne“ überschrieb.
Friedrich Dürrenmatt: „Die Panne“ am Kleinen Haus Dresden, wieder am 17.1., 20.1., 26.1., 19.30 Uhr, 2.2., 10.2., 18.2., 19.30 Uhr und am 1.3., 16 Uhr (Schnullertag)
Ein Kommentar
Das mit Abstand schlechteste Theaterstück das ich seit langem besucht habe. Es ist wird mit Unmengen an (richtigem) Essen um sich geworfen, sich regelrecht darin gesuhlt und dermaßen damit übertrieben, als hätten wir in unserem Zeitalter keine anderen Sorgen. Schlechte und nicht überzeugende schauspielerische Leistungen machten die 1 3/4h zu einer echten Qual. Man möchte schon nach der ersten halben Stunde aufspringen und den Saal verlassen. Für einen unterhaltsamen Abend ist dieses Stück auf keinen Fall zu empfehlen.