Schillers „Verschwörung“ am Staatsschauspiel – eine Kritik
Nicht viel Spannendes gab es bislang auf der großen Bühne des Dresdner Staatsschauspiels zu sehen. Die meisten Premieren in der aktuellen Spielzeit waren entweder von grober Langeweile oder von kitschigem Klamauk getragen. Regisseur Jan Philipp Gloger inszenierte nun mit Friedrich Schillers „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ (1783) einen fast unbekannten Klassiker für Dresden. Schillers „Republikanisches Trauerspiel“, so der Untertitel, ist sein zweites vollendetes Drama nach den „Räubern“.
Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1547. In Genua steht ein Machtwechsel an. Der Wüstling Prinz Gianettino Doria soll das Zepter übernehmen, es regt sich Widerstand. Nur Fiesko, der größte Widersacher des Prinzen, übt sich in lustvoller Feierei, um von seinem Ziel abzulenken. Denn Fiesko möchte auf eigene Faust hinter dem Rücken aller anderen eine Verschwörung gegen den Prinzen anzetteln. Nur ob Demokratie oder Diktatur ist hier noch die Frage.
Das Volk wettert, die Mächtigen schieben sich Macht zu
Das Stück ist kompliziert, die vielen Namen der Handelnden sind anfangs schwer zu fassen. Doch ganz unmodern ist es nicht. Es geht um eine herrschende Schicht, die in ihrer eigenen Welt gefangen scheint. Mag das Volk draußen wettern: Es steht außer Frage, wer hier die Macht hat. Nur die Form dieser Macht sei noch zu entscheiden. Das erinnert unwillkürlich an gewisse Transparentträger, die in Dresden montäglich durch die Straßen spazieren. Ein kleines Demoschild mit der ungehörten Trotz-Forderung „Humhum“ wandert denn auch tatsächlich über die Bühne. Es bleibt jedoch bloß eine nette kleine Anspielung auf die Gegenwart. Solche Anspielungen gibt es viele bei Gloger. Sie sind unterhaltsam, eine Hilfe zur Orientierung im verworrenen Schiller-Stück sind sie aber nicht.
Ort und Zeit bleiben diffus und unentschieden
Die Inszenierung spielt in einem Nirgendwo, das überall sein könnte, auch in Dresden. Eva Martin hat dem Ensemble dazu Kostüme geschneidert, die bunt und gewollt unentschieden zwischen Historie und Gegenwart daherkommen. Die Kulisse von Marc Bausback ist eindrucksvoll: Eine Art Kessel steht da auf hell-dunklem Streifenparkett. Öffnet er sich drehend, kommt die edle Aristokratenwelt mit Plattenspieler, Diskokugel und glänzenden Möbeln zum Vorschein. Hier tanzt Christian Erdmann als unentschieden revolutionärer Fiesko und hat, wie immer in solchen Rollen, in denen man richtig ausflippen kann, riesige Freude dabei. Dieser Fiesko liebt das Spiel mit den Masken und den schönen Schein, in dem er seine Mitmenschen auch gern mal an der Nase herumführt.
Die frivole Julia etwa, Prinz Dorias Schwester, fällt Fieskos Spielchen mit und um die Macht schnell zum Opfer. Karina Plachetka zeigt sie als lustvolle Dame, die vor allem Spaß am heißen Bettgeflüster mit dem feschen Grafen hat. Dessen Frau Leonore schaut zunächst weinerlich zu, ist bald aber schon jene, die zuletzt, also (beinahe) am besten lacht. Ines Marie Westernströer gibt sich alle Mühe, der eher passiven Leonore etwas Profil zu verleihen und entwickelt sie dabei hin zu einer ewigen Nervensäge. Jan Maak bleibt als Prinz Gianettino Doria dagegen kaum Gelegenheit für echtes Schauspiel. Er darf im roten Herrschermantel auf und ab stolzieren, ein paar kluge Parolen aufsagen, erscheint in diesem bunten Gesamtgefüge – ebenso wie Tobias Krüger als Dorias Vertrauter Lomellino – jedoch blass.
Bühne, Tische, Wände und Gesinnungen: alles dreht sich
Richtig Bewegung bringt das Dreigestirn der Verschwörer aus Tom Quaas (Verrina), Sascha Göpel (Kalkagno) und Kilian Land (Bourgogino) in die Sache. Allen dreien schaut man gern zu, wie sie mit dem Fiesko den Sturz der Regierung anschieben, jedoch nicht ahnen, dass Fiesko mit der Hilfe des Mohren Muley Hassan (Thomas Braungardt) viel lieber an seinem eigenen Plan dazu bastelt. Spaß und Ernst verwischen ständig in dieser fast hyperaktiv anmutenden Gesellschaft. Die Musik von Kostia Rapoport sorgt für die nötige Rauschstimmung. Schon bald dreht sich alles auf der Bühne: die Wände, der Tisch und auch die Gesinnungen. Und die Gefahr, dass das Ganze doch wieder zur Klamaukbude wird, schwebt dabei beständig über Glogers Inszenierung.
Die wiederum entblößt sich auch selbst mehrfach als verrücktes Spiel im Spiel. Christan Erdmann hat vielleicht seine allerbesten Momente, wenn er mit dem Publikum spielt, indem er etwa keck in die Menge fragt: „Welche Regierungssysteme kennt ihr?“, oder geduldig Schillers schwierige Sprache für heutige Zuschauer übersetzt. Treue Besucher des Staatsschauspiels wissen sowieso längst: Erdmann im Einmannspiel, das funktioniert fast immer. Ein Stück für eine Person sollte man ihm geben! Und dennoch schafft er es nicht, einige Längen in dieser Verschwörung gänzlich zu kaschieren, während sich sein Fiesko ohne Rückfahrticket seine Selbstinszenierung verstrickt.
Die Bühne wird demontiert – das Spiel geht weiter
Das Ende hat bei Gloger allerdings wirklich Seltenheitswert. So sollte Theater immer sein: Die Bühne wird bei vollem Theaterbetrieb demontiert und mit ihr die Figur des Fiesko als Mittelpunkt des Stückes. Erdmann lamentiert dagegen an, er lamentiert noch bis der Feuervorhang fällt und kriecht durch und lamentiert weiter. Dann ein Schuss, auch der kann ihn nicht stoppen, er lamentiert, er sei schließlich „der große Punkt des Stückes“ – und wird zum Schuss doch erschossen. Da hat man schon fast alles vergessen: die paar Längen, das bisschen Klamauk, den Unfug – man ertappt sich, wie man einstimmt in den jubelnden Schlussapplaus. Bravo. Das war tatsächlich die beste Klassikerpremiere auf der Bühne des Schauspielhauses in dieser Spielzeit.
Info: Friedrich Schiller: „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 8.3., 16 Uhr und 19.3., 19.30 Uhr