Szene12 reist anno 15 mit Haydn zum Mond – eine Kritik
„Wir sind offen, bunt, völlig frei und kreieren neue Werke auf der Basis bekannter Opern“, sagt der Dresdner OFF-Theaterverein szene12 von sich selbst. Mit diesem Anspruch schenkt er Dresden seit 2012 jedes Jahr eine unkonventionelle Operninszenierung, wobei er nicht davor zurückscheut, Ort, Zeit und Inhalt der Werke zu verändern. Mit Joseph Haydns Oper „Il mondo della luna“ entführt das Studentenensemble rund um Regisseur Toni Burghard Friedrich das Publikum nun sogar auf den Mond – und bringt eine wahrhaft komische Oper auf die Bretter der Bühne im Labortheater.
Dem jungen Team gelingt damit vieles, was man an den großen Häusern der Stadt (zu) oft vermisst: Zum einen haben sie mit Haydns Werk aus dem Jahre 1777 ein Stück ausgegraben, das bislang wohl noch nie in Dresden gezeigt wurde – und können daher natürlich gestalterisch umso mehr aus dem Vollen schöpfen. Zudem schaffen sie es, mit ungeheurer Spielfreude und dem raffinierten Bühnenbild von Leonore Pilz und Dennis Ennen, das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln. Und nicht zuletzt kommt diese singspielhafte Oper in der Fassung von Christoph Huber und Toni Burghard Friedrich, frei nach (nicht von) Joseph Haydn, so ungemein unbeschwert, verständlich und unterhaltsam daher, dass es eigentlich weder eine Einführung noch Vorwissen braucht, um sie zu verstehen.
Liebe, Spießbürger und eine Intrige
Wie so oft in der Operngeschichte geht es dabei natürlich um Liebe und Spießbürgertum, um große Gefühle und eine äußerst pfiffige Intrige. Denn der alte, knochige Bonafede (Meinhardt Möbius) sperrt seine Töchter Clarice (Anne Pretzsch) und Flaminia (Maria Hengst) in Haus und Garten ein, damit ihnen nur ja kein Mannsbild über den Weg laufen möge. Die beiden Mädchen allerdings wollen sich der Überfürsorge des Vaters nicht mehr länger ergeben. Längst hat Amors Pfeil Flaminias Herz für den lebhaften Ernesto (Etienne Walch) entflammt – ihre Schwester Clarice sucht und findet bald im Astronom Ecclitico (Philipp Pohlhardt) den Richtigen.
Dieser befreit die Mädchen schnell mit einer List. Er gaukelt dem mondbesessenem Vater Bonafede kurzerhand eine Reise zum Mond vor – und inszeniert im Garten nebenan mit den Töchtern ein Schauspiel ohne Gleichen: Hier sind die strengen Regeln der Erde außer Kraft gesetzt, alle laufen im Nachthemd herum, und hier darf denn auch nach Herzenslust geliebt und geheiratet werden. Zuerst wird Bonafedes treue Haushälterin Lisetta (Pauline Weiche) zur Frau des Mondkaisers Cecco (Enrico Busia) gekrönt, dann sind seine Mädchen dran.
Sogar der Dirigent spielt mit!
Das Publikum sitzt mittendrin in diesem herrlichen Intrigenspiel. Die Stuhlreihen sind in drei Blöcken auf der Bühne gruppiert, um die sich die Papp-Kulisse wie in einem Kleingarten-Karree aus Hecken und Bäumen schlängelt. Die Sänger befinden sich von Anfang an auf dieser offenen Bühne, sodass es immer und überall etwas zu schauen und zu beobachten gibt. Das Kammerorchester aus Studenten der beiden Musikhochschulen in Leipzig und Dresden ist ebenfalls in diese Gartenszene integriert. Dirigent Matthew Lynch legt großen Wert auf Präzision und macht die wunderschöne Musik Haydns auch in der Kammerversion zu einer Entdeckung. Lynch gehört dennoch zum Spiel wie alle anderen, muss richtig mitmachen – und einmal klaut einer der Sänger ihm sogar den Taktstock aus der Hand.
Das ist nur eines von vielen kleinen Details, die diese Aufführung zum Erlebnis werden lassen. Friedrich bedient sich in seiner Regiearbeit vieler Anleihen aus dem Schauspiel, vor allem am Anfang wird viel geredet – und das junge Ensemble zeigt sehr gut, was viele älteren Kollegen gern vergessen: dass gute Oper sich nicht nur auf gute Musik, sondern auch auf Schauspiel gründet. Sie lassen jeder Figur eine eigene Art der Lustigkeit angedeihen: Bonafede ist der sächselnde Bildungsbürger, der jedoch auf gefakte Mondlandschaften hereinfällt. Ernesto ist der überdrehte Paradiesvogel, Ecclitico der raffinierte Denker. Lisetta ist die erotische Haushälterin, Flaminia der verliebte Backfisch und Clarice kommt wie ihre frühreife, freche kleine Schwester daher.
Intensive musikalische Momente
Die zweieinhalb Opern-Stunden fliegen tatsächlich ganz ohne Langeweile vorbei. Und auch musikalisch gibt es nichts zu meckern: Alle Sänger überzeugen hier nicht nur im Spiel, sondern auch stimmlich. Vor allem zum Ende des zweiten Teils, als sich das Mondrätsel für Bonafede langsam löst, kann die Musik die Spannung noch verstärken. Besonders eindrücklich gelingt zur Premiere das Duett von Anne Pretzsch und Philipp Pohlhardt zum Schluss – ein ganz intensiver musikalischer Moment. Mondmission geglückt, könnte man als Fazit der dritten szene12-Produktion also sagen. Der Verein ist sich auch mit Haydn (zuvor stand zweimal Mozart auf dem Programm) treu geblieben – und dabei wieder ein kleines Stück professioneller geworden.
Joseph Haydns „Il mondo della luna“ im Labortheater Dresden, wieder am: 31. März, 2. April, 5. April, 19.30 Uhr und am 6. April 16 Uhr
Linktipp: www.szene12.de