Kafkas „Amerika“ am Staatsschauspiel – eine Kritik
Mit Kafka im Theater ist das so eine Sache. Seine Sprache ist ausgefeilt, die Texte sind vom ewigen Kreisen durch die Irre geprägt und entziehen sich (eigentlich) jeder Bühnendramaturgie. Alle drei Romane sind Fragment geblieben, wurden erst nach Kafkas Tod von dessen Verleger Max Brodt veröffentlicht. Am Staatsschauspiel Dresden haben Regisseur Wolfgang Engel und der Gastdramaturg Simon Strauß nun Kafkas Roman „Amerika“ (1913, auch „Der Verschollene“) in der Fassung von Pavel Kohout und Ivan Klíma opulent inszeniert.
Ein lautes Schiffsdröhnen tönt durchs Theater, auf der Bühne hat Olaf Altmann ein riesiges Schiffs- oder Hamsterrad installiert. Drinnen wankt die Hauptfigur Karl Roßmann, gefangen im Schiffsrumpf, auf dem Weg nach Amerika. Jonas Friedrich Leonhardi gibt diesen Roßmann als liebenswürdigen, ein wenig hilflosen, einsam unschuldigen Jüngling. Von seinen Eltern wurde er ins amerikanische Exil geschickt, nachdem er in der Heimat ein Dienstmädchen schwängerte, das ihn verführt hat. Zunächst jedoch darf Leonhardi hier aus seiner Rolle heraustreten und dem Publikum eine Anekdote von Kafka erzählen. Der hatte die Freiheitsstatue in seinem Roman mit einem Schwert statt einer Fackel ausgestattet – offenbar absichtlich. Soweit dazu. Interessanter Beginn. Weiter im Stück.
Kafkaeske Verstrickungen klug visualisiert
Roßmanns Reise führt ihn – wie so oft bei Kafka – von Station zu Station, doch er kommt nirgends an. Er wird Zeuge und Opfer vieler merkwürdiger Vorgänge und merkwürdiger Menschen, doch er selbst bleibt dabei stets auf der Strecke. Dabei dreht sich das Hamsterrad auf der Bühne hin und her. Ohne Ziel, ohne Erlösung. Ein kluger Einfall, um die Endlosigkeit kafkaesker Verstrickungen zu zeigen. Und Engel lässt allerlei krude, überzeichnete Figuren auftreten, die Roßmanns Weg kreuzen. Zunächst ist es der Onkel, bei dem er etwas lernen soll. Torsten Ranft zeigt ihn eher läppisch, denn streng, wenn er den jungen Roßmann mit großen Reden und vielen Küssen straft.
Auch der dicke Herr Pollunder (Durann Özer) wird hier grenzenlos überzeichnet. Er lädt Roßmann auf sein Landgut ein, wo diesem die komische Tochter Klara (Christian Clauß) und andere seltsame Dinge begegnen. Der Onkel verstößt ihn daraufhin und Roßmann gerät an die Landstreicher Delamarche (Benjamin Pauquet) und Robinson (Philipp Lux), die ihn in die Arme einer hyperhilfsbereiten Köchin (Torsten Ranft) im Hotel Occidental treiben. Dort wird er zunächst Liftboy, lernt die seltsame Therese (Christian Clauß) kennen, wird durch einen unglücklichen Zufall jedoch entlassen und strandet dann als Pfleger der fetten Sängerin Brunelda (Torsten Ranft).
Beständig dreht sich das Hamsterrad durch dieses Stationendrama und Roßmann dreht sich mit, wird weiter geschubst von clownesken Gestalten, statt sich im amerikanischen Traum vom Tellerwäscher zum Millionär hochzuschrauben. Das Ensemble bewegt sich äußerst agil durch diese mobile Kulisse. Diese aber gerät bald an ihre Grenzen, denn sie liefert auch dem Zuschauer bloß Wiederholung, was die einzelnen Episoden und die darin verborgenen Geschichten schnell beliebig erscheinen lässt. Das zweite Manko der Inszenierung: Dem Großteil des Ensembles bleibt hier wenig Raum für wirkliches Spiel, da die Figuren doch eher Karikaturen und oft so weit überzeichnet sind, dass es schon wieder hart an der Klamauk-Grenze schrammt und manchmal fast wehtut.
Herber optischer Bruch zum Schluss
Gern sieht man Jonas Friedrich Leonhardi, Philipp Lux und Torsten Ranft zu. Der Rest des Ensembles geht in der Karikatur eher unter, obwohl doch immer wieder auch herrlich komische Momente die Irrfahrt gen Westen auflockern. Das geht so eine ganze Weile, bis ein herber optischer Bruch – der, das muss man fairerweise sagen, auch im Manuskriptfragment angelegt ist – das verwirrende Ende einläutet: Das Hamsterrad verschwindet im Bühnenboden, die Figuren treten mit Trompeten vor romantischem Sternenhimmel an. Ein großer Engel (auch der ist bei Kafka schon dagewesen) steht da und plötzlich findet sich Roßmann „im größten Theater der Welt“ wieder. Das Naturtheater von Oklahoma nimmt jeden auf, auch ihn.
Es ist eine traumartige Szene, die das ganze Leben bald als Theater, den Traum von Amerika als große, fast grenzenlose Spielwiese entlarvt. Eine zweifelhafte Erlösung für Roßmann, der hier nur als einer von vielen, jedoch niemals als Individuum gesehen wird. Was auf dem Schiff nach Amerika begann, endet im Zug nach Oklahoma, immer auf der Reise nach Westen, ohne Anker, ohne Ziel. Soweit, so gut – oder: gar nicht so schlecht. Doch erneut muss Jonas Friedrich Leonhardi dann aus seiner Rolle schlüpfen, für die Schlussbemerkung: „So ist das auch bei Kafka.“ Diese erscheint dann (vor allem für jene, die Simon Strauß’ klare Rede zur Stückeinführung noch im Ohr haben) allerdings doch irgendwie seltsam unbeholfen.
Info: Kafka: „Amerika“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 16.3., 27.3., 15.4., 28.4., 5.5., 19.30 Uhr und 24.5., 19 Uhr
Fotos (4): PR/David Baltzer