Erläuterungen zum Elbmargarita-#instawalk über den Weißen Hirsch
Dicke, dunkle Wolken schieben den ersten Schnee des Jahres durch den Himmel über Dresden. Der Frost zwickt ungewohnt in die Nase. Die Standseilbahn ruht in tiefem Winterschlaf in ihrer Station auf der Bergbahnstraße am Weißen Hirsch. Nur vereinzelt sind an diesem Sonntagmittag Spaziergänger auf den Wegen in dem Viertel unterwegs. Es scheint tatsächlich ein magischer Ort zu sein, den Uwe Tellkamp 2008 zur Kulisse für seinen Roman „Der Turm“ erkor.
Ich habe 2010 meine Abschlussarbeit über den Dresden-Mythos in diesem Buch geschrieben – und wandle seither ab und an gern durch die Straßen des Dresdner „Turm-Viertels“. Der Ort ist wirklich ein bisschen märchenhaft: altherrschaftliche Häuser, verwunschene Villengärten, Efeubüsche, die sich galant an Fassaden und Zäunen entlangranken. Und auch die Stimmung am ersten fühlbaren Wintertag in diesem Jahr passt, denn der Winter ist ein nicht unbedeutendes Motiv bei Tellkamp.
Tellkamp hat allerdings die realen Vorbilder für seine märchenhafte Romanlandschaft chiffriert, teils stark verändert, den Weißen Hirsch also fiktionalisiert. Nicht alle Orte im Buch findet man als Spaziergänger eins zu eins wieder. Die Wolfshügelstraße war sicher das Vorbild für seine „Wolfsleite“. Sie verläuft quer durch das Tellkampsche „Turmviertel“, das von Bautzner Straße, Körnerplatz, Grundstraße, Mordgrund und Standseilbahn eingegrenzt ist.
Markant leuchtet die Kuppel von Ardennes kleiner Sternwarte in der Wintersonne. Es befindet sich auf der Plattleite, die im Roman wohl „Turmstraße“ heißt. Tellkamp beschreibt sie in seinem Buch als „Hauptachse des Viertels“, auch Manfred von Ardenne bekommt von ihm ein literarisches Alter Ego verpasst: Es ist der geheimnisvolle Arbogast mit seinen Gewächshäusern und Instituten.
Die Dresdner Standseilbahn ist an der Endstation in der Bergbahnstraße auf dem Weißen Hirsch in diesem herrlich roten Ziegelbau zu Hause. Ein Kleinod für Touristen und Ausflügler – aber auch für Romanautoren: Denn die Standseilbahn spielt gleich im ersten „Turm“-Kapitel eine wichtige Rolle, bringt sie den Protagonisten Christian Hofmann doch nach Hause ins winterlich verschneite Turmviertel.
Der Luisenhof – auch Balkon von Dresden genannt – ist im Moment leider geschlossen. Und das ist er bei Uwe Tellkamp auch. Im Buch heißt die bekannte Gaststätte allerdings „Sibyllenhof“, geschlossen war sie jedoch in den 80er Jahren nie. Nur von 1956 bis 1957 nach einem Brand für ein paar Monate, dann erst wieder nach 1990.
Der Johannesweg führt von der Bergbahnstraße hinunter in Richtung Grundstraße. Jene Straße, an derem anderen Ende Tellkamp sein „Ostrom“ platziert. Dieses Viertel gab und gibt es in Dresden aber nicht. Es ist vollständig der Phantasie des Autors entsprungen. Der Johannesweg ist aber ein schönes Beispiel für die märchenhaft verschlungenen Spazierwege rund um den Weißen Hirsch. Inspirierend, oder nicht?
Die Dresdner Standseilbahn im Winterschlaf. Im Roman lässt Tellkamp sie über die Villa San Remo ruckeln, das „Spinnenwebenhaus“ des Malers Vogelstrom: „Die Bahn wurde langsamer, rollte die letzten Meter aus. Christian (…) hatte nur einen gewohnheitsmäßigen, aber nicht eigentlich wahrnehmenden Blick auf das freundlich hellgetünchte Kabinenhaus mit dem anmutig geschwungenen Dach geworfen (…) Leicht nachfedernd kam der Wagen zum Stehen. Schnarrend öffneten sich die Türen.“ (aus Uwe Tellkamp: „Der Turm“, Suhrkamp, 2008)
Diese herrliche Villa steht an einer sehr markanten Weggabelung auf dem Weißen Hirsch. Die Collenbuschstraße führt von hier aus hinunter zum „Friedensblick“ oder Blombergblick, bei Tellkamp wird er als das „kleine, von einer Pergola umgebene Rund am Monleitenpark“ (aus U. Tellkamp: „Der Turm“, Suhrkamp, 2008) bezeichnet.
Gegenüber des Straßenschilds befindet sich das „Haus Abendstern“. Es lieh Tellkamp aber nur seinen Namen. Wer den Roman kennt, weiß, dass es sich hierbei nämlich nicht um die darin beschriebene Villa handeln kann. Das reale Vorbild dafür steht aber ganz in der Nähe. Wer hat sie schon gefunden?
Hier sind wir nun am „Friedensblick“ oder Blombergblick (nach dem einstigen Kurgast Werner von Blomberg) angekommen, wo eine wunderschöne Aussicht auf die Elbe und den Kurpark lockt. Der Obelisk kommt bei Tellkamp übrigens an ganz anderer Stelle vor. Tatsächlich erinnert er an einen tragischen Unfall, denn Joseph Herrmann schuf ihn 1855 zum Gedenken an den Tod des sächsischen Königs Friedrich August II., der einen Sturz aus der Kutsche nicht überlebt hatte.
Weitere Links zum Thema: Elbmargarita 26.4.10, Stippvisiten