Die Semperoper holt John Harbisons „The Great Gatsby“ als großartige Europäische Erstaufführung nach Dresden
Prickelnder Sekt in Kristallgläsern, glitzernde Roben, Charleston- und Swing-Musik aus dem Radio und eine umwerfend große Partygesellschaft, die im Takt dazu über das Parkett wirbelt: John Harbisons Oper „The Great Gatsby“ (1999/2012) ist zum Nikolaus an der Semperoper Dresden angekommen – und feiert nun am Theaterplatz ihre Europäische Erstaufführung. Und wie!
Die ganze verheißungsvolle Glitzerwelt aus dem New York der 20er Jahre taucht hier auf der großen Bühne inmitten der Dresdner Innenstadt herauf. Der britische Regisseur Keith Warner hat das Stück nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald in klare, einprägsame Bilder gepackt. Sie erinnern oft an die Verfilmung mit Leonardo Dicaprio aus dem Jahr 2013. Überdimensionierte Gegenstände verweisen in Opernsymbolik auf das ausschweifende Leben der Reichen und die funkelnde Partywelt des großen Gatsby. Die kleinen Leute stehen dagegen umnebelt von Schornsteinrauch aus den Industriegebieten rings um New York im Schatten einer riesigen Gerüstkonstruktion, auf der eine gigantische Werbetafel thront. Das Bühnenbild hat Johan Engels noch kurz vor seinem Tod im November 2014 entworfen, realisiert wurde es nun von Matthew Rees.
Musik ist auch der Erzähler
Optisch greift diese Kulisse genau das auf, was Harbison in seiner Partitur vorgibt: Die Musik wirkt fast wie ein unsichtbarer Erzähler, sie bekommt viel Raum in dem Stück – an manchen Stellen müssen sogar die Sänger schweigen und genau hin lauschen. Neben den obligatorischen Elementen aus dem Swing und Charleston der 20er Jahre verarbeitet Harbison allerlei Klänge, die Milieus und Charaktere umschreiben. Man hört das Champagnerprickeln, das blubbernde Wasser im Pool – und mitten in den gefälligen Tanzmusikpassagen reißen plötzlich düstere Dissonanzen über dem Namen „Gatsby“ auf. Das Tippen der Schreibmaschine gehört ebenso zum Klangbild, wie die Streicher im Orchester. Die Musik ist alles andere als eintönig, sie pulsiert wie das Leben in New York, ständig und überall gibt es etwas zu entdecken.
Staatskapelle brilliert zwischen den Stimmungen
Die Sächsische Staatskapelle Dresden schlägt in dieser Vielzahl an Stimmungen unter der Leitung von Wayne Marshall stets den richtigen Ton an, bringt sowohl den Klang des leichten, dekadenten Partylebens als auch die Langeweile und Melancholie inmitten dieses Überflusses brillant auf den Punkt. In den ersten Szenen dreht Marshall allerdings so kräftig auf, dass es die Sänger zunächst schwer haben, über das Orchester zu kommen. Er findet aber schon bald auch in der Dynamik das richtige Maß, um die Geschichte des geheimnisvollen Gatsby zu erzählen.
Jay Gatsby hat sich als junger Mann in die schöne Daisy verliebt und versucht nun, mithilfe seines Nachbarn Nick die Vergangenheit mit der Schönen zurückzuholen. Nick ist Daisys entfernter Cousin und freundet sich mit dem großen Gatsby, der für seine üppigen Partys stadtbekannt ist, an. Nicht zuletzt, weil Nick von der Untreue von Daisys Mann Tom erfahren hat, arrangiert er für Gatsby das Wiedersehen mit Daisy. Doch die Sache mit der Vergangenheit ist eben nicht so leicht, wenn schon fünf Jahre vergangen sind, in denen das Leben andere Wege genommen hat.
Knappe szenen und ausschweifende Partys
Die Szenen der Oper sind für das Genre ungewöhnlich knapp gehalten, sie reihen sich in filmischer Ästhetik rasant aneinander. Die ersten 30 Minuten wirken in der Oper zwar noch recht fad, doch spätestens mit der Eröffnung der ersten großen Party im Hause Gatsby nimmt die Inszenierung Fahrt auf. Diesen ausschweifenden, in der Ausstattung fast operettenhaft anmutenden Feierszenen stellt Warner immer wieder berührende Momente gegenüber. So bleibt zum Beispiel die erste Begegnung von Nick und Gatsby als geheimnisvoll prickelnde Szene im Kopf, auch das Wiedersehen von Gatsby und Daisy in Nicks Garten ist entzückend. Die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson lässt bei ihrem Dresden-Debüt genau jene gewisse fiebrige Nervosität in ihrem kräftigen Sopran aufschimmern, die für Daisy typisch ist. Christina Bock gibt dagegen die selbstbewusste Freundin Jordan, ein bisschen frech und stimmlich nicht minder bezaubernd.
Die dritte Frau ist im Roman eher eine Randfigur, wird in der Oper aber zur heimlichen Heldin: Toms Geliebte Myrtle Wilson zeigt Angel Blue als verführerisches Rasseweib in Rot. Sie ist eine herzige Dame der Arbeiterklasse, die genau weiß, was sie will und sich musikalisch durch soulige Klänge von allen anderen unterscheidet. Dem stolzen Lebemann Tom verleiht der Tenor Raymond Very nicht nur stimmlich geschäftig polternden Charakter und Durchsetzungskraft. John Chest gibt den Nick im Vergleich dazu deutlich bescheidener, ruhiger, sein sonorer Bariton erscheint wie ein wohliger Ausgleich zwischen den beiden Rivalen, die bald erbittert um Daisys Gunst kämpfen. Peter Lodahl agiert in der Partie des Jay Gatsby anfangs noch zurückhaltend, entwickelt ihn aber allmählich zum energischen Verehrer. Bald schon schwankt dieser Gatsby bedrohlich zwischen Zuversicht und Enttäuschung, fast glaubt er sich am Ziel, muss er doch einsehen, dass die Zeit eben niemals rückwärts geht.
Der zweite Akt der Oper ist fast noch dichter als der erste. Hier siegt bald vollständig die Melancholie über ausufernd dekadente Lebensweisen. Das Stück entwickelt jetzt richtig Drive, mitreißend und berührend zugleich. Zwei Schüsse kurz vor dem Schluss lassen das Publikum gar kurz erstarren. Trotz aller Pracht, Revue und Glitzertänze bricht die Tragik der Geschichte nun schonungslos hervor. Dieser Große Gatsby ist ein mitreißend berührendes Stück, das an der Semperoper liebevoll zwischen rosaroter Liebessehnsucht und dem rostigen Industriecharme der 20er inszeniert ist – und prima hierher passt. Es zeigt, dass die große, illusionsreiche, berührende Oper auch in unserem Jahrhundert noch lebendig sein kann. Großes Bravo!
„The Great Gatsby“ an der Semperoper Dresden, wieder am 9.12., 11.12., 15.12., 18.12. und 21.12.
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