Psychothriller im Kinderzimmer

Michael Schulz inszeniert Richard Strauss „Salome“ als modernes Seelendrama an der Semperoper

Es ist immer etwas Besonderes, wenn an der Semperoper eine neue Inszenierung von Richard Strauss „Salome“ (Fotos: PR/Kilian Forster) Premiere feiert. Im Dezember 1905 in Dresden uraufgeführt und dem Opernhaus seither auf besondere Weise verbunden, ist das Werk schnell als Skandal in die Theatergeschichte eingegangen. Und dennoch hat sich die perverse Psycho-Oper mit dem kryptischen, auf einem Drama von Oscar Wilde fußenden Libretto bis heute hartnäckig in den Spielplänen gehalten. Auch in der Neuinszenierung von Michael Schulz kann man sich dem Sog des Stückes nicht entziehen – und geht am Ende doch seltsam fasziniert von diesem Strauss nach Hause.

Das mag zum einen an der atemberaubenden, teils auch erdrückenden musikalischen Atmosphäre liegen, die unmittelbar wirkt, so direkt, dass es manchmal fast weh tut. Es liegt aber auch an einer Inszenierung, die so plakativ eindeutig ist, dass sie die verworrene Handlung der Oper fast vergessen lässt. Cowboy, Teddy, Clown und Nussknacker tapsen durch das rosé farbene Kinderzimmer der Prinzessin Salome. Die wiederum wirkt auf den ersten Blick wie Alice im Wunderland (Kostüme: Renée Listerdal). Ein Mythos in der Puppenstube. Der Blick, den Michael Schulz in das Zimmer gewährt, hat aber auch etwas vom voyeuristischen Linsen durchs Schlüsselloch, so ähnlich wie bei Reality-Formaten im privaten Nachmittagsfernsehen. Dabei spielt er auch mit Illusion und Traumwelten, lässt das Zimmerchen in eine schwarze Unendlichkeit zurückfahren – oder ganz romantisch vom Mondlicht (Bühne: Dirk Becker) bescheinen. Ist vielleicht alles nur ein Traum, ein böser Film? Man weiß es nicht.

Salome an der Semperoper

Salome jedenfalls ist ein bockiges Kind, das nie gelernt hat, was falsch und richtig ist, daher auch von Liebe und Moral nichts weiß – aufgewachsen in einer Gesellschaft zwischen konträren Glaubens- und Weltbildern. Jennifer Holloway gibt in dieser Partie ihr Debüt an der Semperoper mit wilder Dramatik und malt dabei ein diffiziles Bild von dem verträumten Kind im Tüllrock, das, vom lüsternen Stiefvater Herodes missbraucht, vom geheimnisvollen Propheten Jochanaan aber fasziniert, bald sein eigenes Weltbild kreiert und zur sturen Göre mutiert. Die Warnung des gutmütigen Teddys Narraboth (Daniel Johansson) schlägt sie in den Wind, denn längst begehrt sie allein den Mund des Jochanaan. Markus Marquardt brilliert in dieser Partie mit stimmlicher Präsenz und Verführungskraft, die in sinnfälligem Kontrast zu seiner eher zurückhaltenden Randposition auf der Bühne steht. Einem Trugbild gleich, das zwar Hoffnung (auf den Messias), aber keinen Halt zu geben vermag. Salome will ihn! Flammt da am Rande vielleicht auch eine Art religiöser Fanatismus in ihr auf?

Salome an der Semperoper

Es folgt der Bruch, der goldene Vorhang schiebt sich auf. „Tanz für mich, Salome“, raunt Herodes mit unerbittlicher Stimme – Lance Ryan ist einer der Stars dieses Abends – und die Bühne verwandelt sich vom Kinderzimmer in eine Art Varieté. Salome lässt die Püppchen tanzen, raffiniert, halbnackt, verheißungsvoll. Man kann über diese Inszenierung sagen, was man will, aber langweilig ist sie nicht! Sie spiegelt die Vielschichtigkeit, den faszinierend wie verstörenden Facettenreichtum in Strauss Musik auch bildlich wider. Plötzlich ahnt man wieder, warum sich diese Oper trotz aller Skandale bis heute auf den Spielplänen behauptet: Ein Psychothriller in Klang gegossen. Strauss beherrscht die Kunst der (Ent-)Täuschung und er skizziert den inneren Aufruhr als vielschichtiges Psychogramm.

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Am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden steht dieses Mal jedoch nicht Christian Thielemann, von dessen besonderem Gespür für die Dresdner Hausgötter ohnehin jeder weiß. Die musikalische Leitung hat Omer Meir Wellber inne, der sich zuvor, so verrät er im Programmheft, eingehend mit dem originalen Notentext und den darin notierten Anmerkungen seiner Vorgänger auseinandergesetzt hat. Er interpretiert mit einem frischen Blick von außen, nimmt die Musik zu Beginn eher verspielt, ernst jedoch in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und lässt das Orchester mit einer Portion Ironie durch bunte Klangwelten wandern, um wenig später einen geheimnisvoll prickelnden Glanz heraufzubeschwören. Die flirrenden Stimmungsbilder, die Strauss in der Partitur fast filmisch ausmalt, gestaltet Wellber mit den Musikern akribisch aus. So entsteht ein musikalischer Kimi, so dramatisch wie unterhaltsam, der einen gefangen nimmt, dessen Story man mit sich aus dem Saal heraus trägt, um dann einmal mehr nachzusinnen über Strauss und Dresden und seine Skandaloper „Salome“ …

Richard Strauss „Salome“ an der Semperoper Dresden, wieder am 30.9., 28.10. und 4.11

Kritikschau: Roland H. Dippel in nmz, Friedbert Streller in Musik in Dresden

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