Das Heinrich Schütz Musikfest lädt vom 7. bis 16. Oktober über drei Orte und Länder hinweg, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, zu zahlreichen Konzerten ein. Intendantin Christina Siegfried (Foto: PR/Mathias Marx) erzählt im elbmargarita-Interview, was die Dresdner dabei erwartet.
Heinrich Schütz lebte und wirkte in Dresden. Welchen Stellenwert nimmt der Komponist für Sie persönlich in der Musikgeschichte ein?
Nicht umsonst wurde Heinrich Schütz schon von seinen Zeitgenossen als der „Vater unserer modernen Musik“ bezeichnet. Er war das „Licht Deutschlands“ auf musikalischem Gebiet – und heute dürfen wir getrost sagen: Er ist der bedeutendste deutsche Musiker vor Johann Sebastian Bach. Wobei dies rein zeitlich gemeint ist, denn auch der historisch nachfolgende große Thomaskantor hat die ungemeine und vielfältige Wirkung des Schaffens eines Sagittarius nicht eingeschränkt.
Heinrich Schütz galt im 20. Jahrhundert und gilt heute noch vielen Menschen als Inbegriff lutherischer Kirchenmusik der Zeit vor Bach. Wie gesagt, schon zu seinen Lebzeiten ein Vorreiter der Moderne, war er zugleich konfessioneller Kosmopolit und ein Meister des musikalischen Ausdrucks.
Doch sollten wir den Blick von Dresden aus auch weiten: Die großartigen Alterswerke schrieb Schütz in Weißenfels, geboren wurde er in Köstritz. Er hat in Venedig und Kopenhagen gewirkt und war weit vernetzt mit den führenden geistigen Größen und führenden Musikern seiner Zeit. Für mich persönlich ist Schütz einer der großartigsten Komponisten, deren Werke wir heute besitzen – voll geistiger Tiefe, ungeheurer emotionaler Ausdruckskraft und geradezu einzigartiger künstlerischer Meisterschaft.
Wie wird dies im Programm des diesjährigen Schütz-Festes verankert?
Ein Jahr vor dem Reformationsjubiläum und im letzten Jahr der Lutherdekade mit seinem Motto „Reformation und eine Welt“, nicht weniger aber auch angesichts der uns täglich umgebenden Ereignisse zwischen Willkommen und Ablehnung, Toleranz und Ausländerfeindlichkeit geht es um das „Besehn der frembden Länder“, geht es um Neugier und Offenheit, um den Mut zum Aufeinanderzugehen. – Es sind die Weltentdecker, einmal mehr die Grenzgänger, die Abenteurer, die inspirierten Neugierigen, die Sammler und die kreativen Bahn- und Bannbrecher, die im Mittelpunkt des Heinrich Schütz Musikfests 2016 stehen. Der Sagittarius zählte unbenommen zu ihnen, denn als er sich aufmachte, um erstmals nach Italien zu gehen, war er nach eigenem Zeugnis „ein junger, und die Welt zu durchsehen auch begieriger Mensch“ – der den „Nutz/ der vom Besehn der frembden Länder kömmt“ (so ein Gedicht über den alten Schütz aus dem Jahr 1672) sehr wohl zu ziehen wusste. Daher schaut das Heinrich Schütz Musikfest in diesem Jahr weit über den Tellerrand hinaus. Und so suchen unsere Künstler ganz bewusst die Inspiration jenseits geografischer und stilistischer Grenzen.
Die Konzerte finden ja sehr breit gestreut in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt statt. Worauf darf sich speziell das Publikum in Dresden freuen?
Beispielhaft für das eben gesagte und speziell in Dresden stehen dafür als artists in residence dieses Festivals das international gefeierte Spitzenensemble L’Arpeggiata & Christina Pluhar, die sich auf die Spurensuche nach Verbindungslinien zwischen Barock und landestypischen Musikstilen rund um das Mittelmeer, aber auch die Verquickung unterschiedlicher musikalischer Welten begeben.
Ein weiterer Höhepunkt ist das Konzert mit dem Serpent-Virtuosen Michel Godard, der exklusiv für das Heinrich Schütz Musikfest sein neues Schütz-Programm kreierte. „A Journey to Splendor“ ist am 16. Oktober als fulminantes Abschlusskonzert des Festivals im legendären Jazzclub Tonne in Dresden zu erleben. In der Frauenkirche sind die lautten compagney Berlin und das Vocalconsort Berlin zu Gast und präsentieren ein Konzert rund um den 116. Psalm, was sich zugleich zu einer Erkundung geistiger Welten der Schütz-Zeit gestaltet. Insgesamt haben wir 13 Veranstaltungen im Dresdner Programm des Heinrich Schütz Musikfests.
Gerade sind die Bach-Tage in Dresden zu Ende gegangen und die Musikfestspiele haben schon ihr Programm für 2017 präsentiert. Was tun Sie, um sich von den anderen abzuheben?
Das Heinrich Schütz Musikfest hebt sich schon alleine ob seines in der deutschen Festivallandschaft einmaligen Schwerpunkts von den genannten Höhepunkten ab: Es ist ein Forum für die Musik des 17. Jahrhunderts, das ganz bewusst aus der inspirierenden Auseinandersetzung mit der historisch informierten Aufführungspraxis schöpft und dennoch die Brückenschläge in die Gegenwart nicht scheut. Die einmalige Struktur – ein Festival an drei Orten in drei Ländern – und das besondere Netzwerk sind ebenso charakteristisch für das Musikfest. Ich denke zudem, dass – zumal als Hauptwirkungsort – Dresden ein solches Musikfest mehr als braucht und inzwischen auch angenommen hat. Was ein Bach für Leipzig, ein Händel für Halle oder ein Telemann für Magdeburg, ist nun einmal ein Schütz für Dresden.
Unsere Gäste kommen aber nicht nur aus Dresden und dem Freistaat selbst. Wir freuen uns über einen stetig wachsenden Anteil auswärtiger Gäste aus ganz Deutschland und über Besucher aus dem Ausland bis hin zu Australien und Japan. Insofern verträgt eine Stadt wie Dresden sehr gut viele Musikfestivals – und vermag in der Vielfalt seiner Traditionen wie der kulturellen Gegenwart vielfach eben auch zu inspirieren.
Ihr ganz persönlicher Tipp für die Besucher …
Da will ich gern ein Konzert nennen, für das es auch noch Karten gibt – aber auch eines, dass mir sehr ans Herz gewachsen ist: Zu den Shooting-Stars der internationalen Alten-Musik-Szene gehört das Ensemble Seconda Prat!ca, das am 15. Oktober in der Loschwitzer Kirche sein Musikfest-Debüt gibt. Das international besetzte Ensemble rund um den Leiter Nuno Atalia war „resident ensemble“ beim renommierten Barockfestival Ambronay und bei den Händelfestspielen in Göttingen, wird gefördert durch das EEEmerging-Programm (Emerging European Ensembles).
Sie präsentieren ein Programm, das uns sehr nachhaltig die Frage stellt wie beantwortet, was denn eigentlich eine „Neue“ und was eine „Alte“ Welt ist – und wir dürfen ganz schnell feststellen, dass dies – nicht nur musikalisch – eigentlich zwei völlig unzutreffende Begrifflichkeiten sind. Vielmehr werden die jungen Musiker uns in ihrer mitreißenden Musikalität wie Spielfreude vor Ohren führen, dass es stets um ein inspiriertes Miteinander geht. Dass dann ihr Dresdner Konzert zugleich das deutsche pre-launch concert ihrer ersten CD-Einspielung ist, macht die ganze Sache rund.