Die Bürgerbühne zeigt Shakespeares „Romeo und Julia“ als mitreißendes Dokumentarstück
Zwei Kinder, die sich lieben. Zwei Familien im Streit. William Shakespeares „Romeo und Julia“ erzählt mehr als nur die universelle Geschichte von unglücklich Liebenden. Es ist zugleich die Geschichte vom Hass zweier verfeindeter Familien, von sinnlosem Neid, Missgunst und Hilflosigkeit. Die Bürgerbühne Dresden bringt dazu ein mitreißendes zweisprachiges Theaterprojekt (Fotos: PR/Krafft Angerer) auf die Bühne, das die Beziehungen deutsch-arabischer Paare ins Rampenlicht rückt und somit offen den Bezug zur Gegenwart sucht.
Martin Heckmanns hat dazu eine eigene Textversion des Klassikers geschrieben, die Shakespeare auf die wichtigsten Kernszenen zusammenschrumpft – das Drama ist ja ohnehin jedem bekannt – und in der Regie von Miriam Tscholl zu einem kurzweiligem Dokumentationstheater mit Filmeinspielungen, Musik und Statistik gedeiht. Jugendgerecht und leicht geht es los, der Einlass in den Saal am Kleinen Haus ist von Livemusikakkorden (Musik: Michael Emaunel Bauer) in jazziger Endlosschleife begleitet, in einer Videoumfrage erklären Jugendliche, wie sie sich ihre/n Romeo/Julia vorstellen. Als Vorspiel serviert das Ensemble aus acht deutschen und fünf arabischen Darstellern anschließend die knackige Spielerstatistik rund um Liebe, Sex und Vorurteile zu deutsch-arabischen Paarkonstellationen.
Und schon ist man mitten drin im Stück: Auf einer Art geschwungener Skateboard-Rampe (Bühne: Markus Pötter) formieren sich die Gangs. Jugendliche aus Dresden treffen auf ihre neuen Nachbarn aus Syrien, Palästina oder dem Libanon. Deutsche Jugendsprüche und arabische Wortfetzen fliegen aufeinander zu und prallen im gegenseitigen Unverständnis voneinander ab. Das Publikum wird dank Übertiteln an der hinteren Bühnenwand live Zeuge dieses offensichtlichen Missverstehens. Es gibt sie überall diese Montagues und Capulets. Der Hass gedeiht, wo Unverständnis wuchert.
Die jungen Laienschauspieler bringen diesen sinnlosen Kampf im Wechsel mit den Liebesszenen sehr schwungvoll und mit unheimlich viel Herzblut auf die Bühne. Rouni Mustafa verleiht dem Romeo in der Balkonszene eine authentische Mischung aus Hibbeligkeit und Coolness, Tabea Günther passt gut in die Rolle der schüchtern sehnsuchtsvollen Julia. Anik Urich steht ihr anstatt der Amme als Freundin mit frechem Mundwerk zur Seite. Lisa Kanthack und Dominik Lösche zeigen die Capulets dagegen in vornehmer Zurückhaltung, hoch oben auf der Rampe. Eindrucksvoll ist auch der Auftritt von Baian Aljeratly als Prinz in strenger Reiterpose.
Filmsequenzen mit dokumentarischem Material zum Thema
Immer wieder wird das Spiel von Filmaufnahmen (Video: Wanja Saatkamp) unterbrochen, in denen deutsch-arabische Paare von ihren Erfahrungen berichten, Eltern, Pfarrer, Islamexperten zu Wort kommen. Das Schöne daran ist: Nichts wird beschönigt, Probleme ehrlich angesprochen. Wie liebt man im Islam? Und warum ist Sex vor der Ehe in dieser Religion verboten? Der alte Shakespeare-Stoff wird so zur Folie für ganz private Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft – und das Theater zum Medium der Verständigung, sei sie auch nur marginal. Das dokumentarische Material wird locker in die Handlung von „Romeo und Julia“ verwoben, ohne erhobenen Zeigefinger wandern so auch persönliche Erfahrungen der Darsteller auf die Bühne.
Auch wenn das eigentliche Spiel von diesen Videoaufnahmen immer mal jäh unterbrochen scheint, macht es Spaß, zuzuschauen und -zuhören! Die Idee zu dem Stück entstand während der Proben zur Inszenierung „Morgenland“, in denen die Fragen nach Liebe und Sex zwischen den Kulturen hinter der Bühne immer wieder ganz real gestellt wurden. So erklärt sich nun dieser fast wissenschaftliche Annäherungsversuch mittels Shakespeare, der zum Schluss unerwartet mit einer Revolution auf der Bühne endet: „Verflucht sei dummes Sterben für nichts und wieder nichts“, heißt es noch, bevor sich die Familien vergebungsvoll die Hand schütteln. Dann wird die Musik so laut gedreht, dass selbst Romeo und Julia aus ihrem ewigen Schlaf erwachen und mit den anderen eine rockige Rebellion für die Liebe anzetteln. Was nützen uns Denkmäler, wir leben im Hier und Jetzt! „Ich will lieben, wen ich will“, steht demonstrativ auf einem Pappschild, während Paare aller Konstellationen über die Bühne tanzen. Im Takt der lauten Musik scheint Verständigung möglich, ein schönes Schlussbild.
„Romeo und Julia“ am Kleinen Haus Dresden, wieder am 31.10., 3.11., 15.11., 25.11., 1.12.2016