Wolfgang Engel inszeniert Heinrich von Kleists „Amphitryon“ am Staatsschauspiel
Heinrich von Kleists „Amphitryon“ erklärt die Gewissheit allen Seins für nichtig. Das Spiel der verwirrten Identitäten, in dem göttliche Doppelgänger alle Tatsachen, die uns klar erscheinen, ins Wanken bringen, erschien 1807 nach einer Vorlage von Molière in Dresden, uraufgeführt wurde es in Berlin. In der Inszenierung von Wolfgang Engel feiert Kleists Stück (Fotos: David Baltzer) nun Premiere (4.2.) am Staatsschauspiel Dresden. Und auch hier weiß am Ende niemand mehr so recht, wo die Grenze zwischen Lustspiel und Tragödie verläuft, denn Kleist stellt einmal mehr die bestehende Ordnung in Frage, indem er seine Figuren in einen unauflösbaren Strudel der Irritation schickt.
Wo andere Regisseure das Chaos auch bildlich darstellen, begegnet Engel dem jedoch mit absoluter Reduktion auf das Notwendigste: Philipp Lux stolpert zunächst im Regenmantel auf die graue Bühne. Ein Lichtschein, eine Wand. Davor das irritierte Ich von Amphitryons Diener Sosias, den Lux brillant zwischen komischer Verwirrung und verzweifelter Verirrung mimt, wobei er dem Kleist’schen Text allerlei Wortwitz entlockt. Sosias diskutiert mit seinem göttlichen Doppelgänger Merkur (Martin Reik) – und bringt so in Gang, was sich in den folgenden 80 Minuten Stück für Stück bis zum Wahnsinn steigert.
Wolfgang Engel denkt aber gar nicht daran, das Schauspiel klassisch in drei Akte zu teilen. Er blättert es eher episodenhaft auf, spitzt es zu und treibt die Figuren eine um die andere Szene immer weiter hinein ins Gefühlschaos: Sosias trifft seinen Doppelgänger, seine Frau Charis ist verwirrt von beiden und Alkmene schläft unwissend mit dem als Amphitryon verkleideten Jupiter. Als Amphitryon heimkehrt, weiß der freilich nichts von dieser Nacht und der Streit ist vorprogrammiert. Eine graue Wand nach der anderen fährt auf der Bühne von Olaf Altmann, begleitet von Musik (Sven Kaiser), nach oben, um im Hintergrund nur wieder eine neue Wand freizugeben. Das mag jetzt banal, vielleicht langweilig klingen, spiegelt die psychologische Ebene des Stücks aber auf düstere, beklemmende Art: Denn die Figuren verstricken sich so auch bildlich immer weiter in die Tiefen einer Krise der Selbstwahrnehmung, aus der es kein Entrinnen gibt. Lösung ausgeschlossen.
Und Engel verschont auch sein Publikum nicht. Er schickt es mit in die Irre, besetzt Matthias Reichwald in Doppelfunktion als Jupiter und Amphitryon. Mensch und Gott sind hier also eine Person – wie viel von beiden steckt wohl in uns allen? Matthias Reichwald spielt diesen Bruch klug aus, immer ein bisschen zerrissen, zwischen dem souveränen Gott und dem verzweifelten Menschen „Amphitryon“ schwankend, zum Schluss rasend, beinahe schizophren. „Wer bist Du?“, faucht Reichwald fast hyperventilierend, als auch die letzte Wand sich gehoben hat, der letzte innere Halt obsolet geworden ist. Während Philipp Lux den Sosias angesichts seines Doppelgängers eher unsicher tastend nach sich selbst auf die Suche schickt, steht ihm Reichwald als verwirrt wütender Amphitryon gegenüber.
Paula Skorupa ist dagegen eher eine ohnmächtige Alkmene, wirkt in der ersten Szene noch blass, fast passiv. Erst später wird sie etwas energischer, doch bleibt die Emotion an der Oberfläche. Überhaupt wirkt keine der Figuren so richtig plastisch. Weil alle sich auf die Darstellung Irritation beschränken, bleibt die Entwicklung der Charaktere diffus: Lux ist der Lustige, dem aber jede Tragik fehlt, Reichwald arbeitet sich an seiner enormen Doppelrolle ab, in der er Jupiter und Amphitryon jedoch nur schemenhaft zeichnen kann, Skorupa hat Mühe, den Text mit Leidenschaft zu füllen. Ja, selbst Ina Piontek gelingt es nicht, in der Rolle der Charis richtig aus sich herauszugehen. Sie wirkt vielmehr wie die unterhaltsam nette Nachbarin, der das Doppelgängerspiel zwar komisch vorkommt, deren Verwirrung am Ende aber vor allem auf der allgemeinen Verunsicherung aller beruht.
Doch die Erzählweise hat auch ihren Reiz. Freilich könnte man Kleists Chaos bunter darstellen. Doch Engels Reduzierung auf das Wort, das hier fast ohne Requisiten auskommt und in schlichten Kostümen (Zwinki Jeanneé) gesprochen wird, verleiht dem Stück eine tiefe Bitterkeit, die wohl auch vom Schicksal des Regisseurs inspiriert ist. Zugespitzt bis zum Ende setzt Alkmenes berühmtes „Ach“ hier den packenden Schlusspunkt unter eine tragische Komödie, deren Ausgang doch vage bleibt. Ein Stück, das gut in diese Zeit passt, auf jeden Fall sehenswert!