Die Staatsoperette zeigt Piazzollas „María de Buenos Aires“ als sinnliche Tangorevue
Wer die Bühne im Kraftwerk Mitte erfolgreich bespielen will, braucht vor allem gute Ideen. Dass es der Staatsoperette daran nicht mangelt, zeigt deren neueste Produktion, Astor Piazzollas Tango-Operita „María de Buenos Aires“: Die Zuschauer dürfen hier direkt auf der Bühne (Fotos: PR/Kai-Uwe Schulte Bunert) Platz nehmen. Rings um die Drehkonstruktion sind kleine Tische, Stuhlreihen, das Orchester und sogar eine Bar angeordnet wie in einem argentinischen Tango-Club im Herzen von Buenos Aires.
Die verruchte Atmosphäre im Schummerlicht ist perfekt – und auch sonst hat das Inszenierungsteam um Regisseur und Choreograf Radek Stopka keine Mühen gescheut, um das Publikum mit einer sinnlichen Inszenierung zwei Stunden lang in die Welt des Tangos zu entführen. Eine richtige Oper ist Piazzollas Stück jedoch nicht. Das Werk, das er 1968 mit dem befreundeten Librettisten Horacio Ferrer schrieb, gleicht eher einer lateinamerikanischen Nummernrevue in 16 Bildern mit Text, Gesang und Tangoballetten. Die Handlung ist surreal-mystisch, letztlich erzählt sie die Geschichte der schönen María, die in den düsteren Gassen von Buenos Aries an die falschen Leute gerät, am Ende jedoch wundersam gerettet, also wiedergeboren wird.
Mit Vasiliki Roussi hat die Staatsoperette die ideale Besetzung für diese Partie gefunden. Sie gibt die María mit rauchiger, wandlungsfähiger Stimme als rassige Mischung aus Tangodiva und Träumerin. Im roten Kleid tanzt sie von der Vorstadt in die Bars von Buenos Aires, räkelt sich versonnen am Fenster und verdreht den Männern in der großen Stadt reihenweise den Kopf. Dabei begegnet sie Gaunern, Dieben, Träumern und einem Geist, den Tom Quaas als wissenden Erzähler mit sonorer Stimme zeigt. Und wenn Roussi das berühmte „Yo soy María de Buenos Aires“ singt, erscheint die Geschichte auf einmal seltsam real und präsent, so als sei der Geist der María tatsächlich auferstanden, um sie noch einmal zu erzählen. Die Sänger Jannik Harneit, Marcus Günzel und Christian Grygas umschmeicheln die faszinierende Frau, die über allen zu stehen scheint, bis sie am Boden liegt.
Die eigentliche Triebkraft des ganzen Stückes ist jedoch der Rhythmus des Tango Nuevo, für dessen Lebensgefühl die Figur der María wie eine sehnsuchtsvoll tragische Metapher steht. Bühnenbildner Guido Petzold verleiht den wechselnden Stimmungen des Tanzes auch optisch eindrucksvoll Gewicht: Mit einer riesigen Fensterfront im Rücken der Drehbühne, die sich als Hausfassade wie als opulente Projektionsfläche für nächtliche Stadtansichten aus der Tangometropole eignet, sorgt er für berauschende Bilder. Das Ballett der Staatsoperette Dresden wird zur Tangoclique und lässt mit verführerischen Choreografien selbst manchen Bruch in der Dramaturgie vergessen. Denn etwas befremdlich wirkt es schon, wenn María im zweiten Teil als blasser Schatten auf einmal von aalglatten Analysten umringt und behandelt wird, bevor sie in der Nacht als kleines Mädchen wieder aufersteht.
Doch vielleicht ist auch das als heimliche Reminiszenz an den Tango zu verstehen, jenen Tanz, der mit seiner ambivalenten Verführungskraft immer gerade dort Hochkonjunktur feiert, wo sich gesellschaftliche Umbrüche andeuten, die das bestehende Wertesystem ins Wanken bringen. Zur typischen Stimmung des Tangos, den Piazzolla auf revolutionäre Weise neu erfand und dabei vom Tanzparkett löste, gehört das Bandoneon ebenso wie raunende Streicher. Das Tangoorchester der Staatsoperette Dresden nähert sich dieser Stimmung unter der Leitung von Peter Christian Feigel zunächst gediegen. Fast flüsternd unterstreicht die Musik zu Beginn des Stücks die Erzählungen des Geistes Tom Quaas, um sich bald jedoch immer vordergründiger in die Szene zu schieben.
Dabei könnte Peter Christian Feigel das Feuer des Tangos ruhig noch heißer lodern lassen, die subtilen Zwischentöne aus Piazzollas Musik filigraner herausarbeiten. Stellenweise lässt er die Musiker zu forsch aufbrausen oder aber belanglos dahingleiten, was die Melodien nach einer Zeit beliebig erscheinen lässt. Das ist wahrscheinlich das größte Manko dieses sonst berauschend sinnlichen Abends, mit dem die Staatsoperette ihrer neuen Drehbühne wieder eine ganz neue Facette abgewinnt. Sehenswert ist das Stück trotz ein paar kleiner Schwächen allemal, gerade weil solche Aufführungen bislang im Stadtzentrum fehlten.
„María de Buenos Aires“ an der Staatsoperette Dresden, wieder am 30. Juni und 7. Juli 2017 sowie in der kommenden Spielzeit