Eine persönliche Bilanz nach viereinhalb Musikfestspielwochen
Die CD der Barokksolistene dreht sich im Player, mit lauschiger Musik aus englischen „Alehouses“, lebendigen Geigen und rauem Gesang erinnert sie noch an viereinhalb intensive Konzertwochen in Dresden. Der Abend mit den Barokksolistene im Ballhaus Watzke warf freilich nur eine Klangfacette von vielen bei den 40. Dresdner Musikfestspielen auf. Mit 60 Konzerten war das Programm im 40. Festivaljahrgangs (Fotos: Oliver Killig) so dick geschnürt wie nie – und obwohl ich – Privileg des Jobs – fast jeden Abend dabei war, hätte es ewig so weitergehen können.
Doch was bleibt nach knapp 30 gehörten Konzerten? Welche Eindrücke haben sich nach dem Monat voller Musikgenuss in Kopf und Herz festgegraben? Da ist zum einen der Kulturpalast. Nach wenigen Abenden sind wir im neuen Saal heimisch geworden – und nicht nur wir: Egal ob Bryn Terfel, Thomas Hengelbrock oder Ivor Bolton, die Künstler lieben seine Akustik, loben den warmen, weichen Klang, während das Publikum wohlig in den orangen Sesseln Platz nimmt und in den Pausen verträumt aus der Fensterfront auf den Altmarkt blickt. Mit 14 Konzerten, zahlreichen Pressegesprächen, ja sogar einem ZDF-Interview mit Bill Murray, haben wir uns den neuen alten Kulti vertraut gemacht. Er ist ein guter Freund für Dresdens Musikleben geworden, soviel ist gewiss.
Dabei offenbarten auch die kleinen, intimeren Formate in idyllischer Umgebung auf Schloss Wackerbarth oder im Palais im Großen Garten schöne Überraschungen. In Radebeul erzählte Francesco Piemontesi am Flügel eindringliche musikalische Geschichten. Im Palais las Sky du Mont begleitet vom Armida Quartett aus den Memoiren von Ciacomo Casanova und sorgte für einige nachdenkliche Momente. Voller Intensität belebte das Cuarteto Casals vor der abendlichen Kulisse im Park Kammermusik von Mozart, Bartók und Beethoven. Das waren Konzerte, in die man ohne große Erwartungen hinein, anschließend jedoch erfüllt von Musik nach Hause ging.
Für schwungvolle Kontraste im Programm sorgten Max Raabe und das Palast Orchester sowie Martin Grubinger mit dem Percussive Planet Ensemble im Kulturpalast. Da wehte frischer Wind im Saal. Der eigentliche Höhepunkt kam jedoch mit Bill Murray. Eine Weltpremiere nur für die Musikfestspiele in Dresden: Zusammen mit Jan Vogler, Mira Wang und Vanessa Perez sorgte der Hollywoodmime für Gaudi und auch einige nachdenkliche Momente auf der Bühne, in dem er und seine Freunde Texte von Hemingway, Whiteman und Miller mit Melodien von Bach, Piazzolla und Gershwin kombinierten. Dazu ein Tänzchen, ein flotter Flohwalzer und zum Schluss flogen Rosen durch den Saal – einmalig!
Kombiniert mit großen Orchestern entstand so in 32 Tagen jene Mischung, die ein Festival braucht, um die ganze Stadt zu durchdringen. Unvergessen bleibt die Eröffnung mit Anne-Sophie Mutter und der Philharmonia Zürich in der Semperoper, wo es ein Wiedersehen mit Fabio Luisi gab. Das war eine musikalische Sternstunde, überraschendes Feuerwerk im Anschluss inklusive. Besser hätte man das Motto „Licht“ zum Festivalstart kaum einlösen können. Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker schickten uns mit warmen Klängen in einen heißen Sonntag, während die Tschechische Philharmonie mit Smetanas „Mein Vaterland“ auf einen mitreißenden Spaziergang in böhmische Gefilde entführte. Das Mahler Chamber Orchestra spielte Beethovens 2. und 6. Sinfonie in der Frauenkirche kurz vorm Festivalausklang mit fesselndem Leuchten.
Zur typischen Dresdner Festspielatmosphäre gehört jedoch mehr als Orchester- und Solistenglanz, mehr als Jazz, Weltmusik und Tanz an 22 Spielstätten. Dazu gehören ebenso Projekte für alle wie die „Klingende Stadt“ oder „Dresden singt & musiziert“, Tage, an denen man überall Menschen mit ihren Instrumenten durch die Gassen der Innenstadt streifen sieht und an allen Ecken andere Klänge hört. Dazu gehören angeregte Gespräche in der Festspiellounge, wo die Künstler oft nach ihren Auftritten eine kleine Einlage geben, bei einem Wein, auf Augenhöhe mit ihrem Publikum. Und dazu gehört seit sechs Jahren natürlich das Dresdner Festspielorchester, das seit 2012 wie bei einem Familientreffen immer zu den Musikfestspielen in Dresden zusammenkommt, aus aller Herren Länder vereint, um zu proben und bejubelte Konzerte zu spielen.
Zum zweiten Mal oblag dem Originalklangorchester in diesem Jahr unter der Leitung von Ivor Bolton auch der Abschluss, mit einer berauschenden konzertanten Aufführung von Beethovens „Leonore“, der Urfassung des „Fidelio“, auf Instrumenten des 19. Jahrhunderts. Alte Instrumente trafen dabei auf eine junge Performance der „Bohème 2020“, die das Stück mit Video, Tanz, Malerei, Sound und Klaviermusik phantasievoll kommentierte. Das war dann wirklich der letzte Höhepunkt, bevor dann nach einer seligen Sektrunde in der Lounge nach vier Wochen etwas Ruhe einkehrte. Das „Licht“ der 40. Festspiele ist aber nicht verloschen, es flackert weiter, den nächsten Höhepunkten im kommenden Jahr entgegen, während nun im Sommerlicht endlich Zeit ist, das Erlebte festzuhalten …
Die 41. Dresdner Musikfestspiele finden vom 10. Mai bis 10. Juni 2018 statt.
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