Herbstauslese: Uwe Tellkamp und seine Erzählung „Die Carus-Sachen“
Wie war das noch auf dem „Turm“, wo im Fenster von Haus Wolfsstein die Geschichtenlampe brannte? Erinnern wir uns an die verschlungenen literarischen Wege, die Uwe Tellkamp in seinem Roman märchenhaft auf dem Weißen Hirsch beschritt. Lang schon ist eine Fortsetzung der Geschichte des Dresdner Bürgertums versprochen, das der Autor in seinem preisgekrönten Werk durch die letzten sieben Jahre der DDR führte und mit der Friedlichen Revolution von 1989 aus aller Vergangenheitsseligkeit befreite.
Nun legt Uwe Tellkamp mit „Die Carus-Sachen“ ein neues Buch vor. Es ist im August 2017 in der Edition Eichthal erschienen. Kein Roman, eher ein Büchlein, das mit Illustrationen von Andreas Töpfer erneut an die Welt der Türmer erinnert. Skizzenhaft erzählt Tellkamp aus der Sicht von Fabian Hoffmann – im „Turm“ der Cousin des Protagonisten Christian – vom Wirken von Carl Gustav Carus in Dresden. Carus hat sich als Professor der Chirurgisch-Medizinischen Akademie und Wegbegleiter der Dresdner Romantiker ins kulturelle Gedächtnis der Stadt eingeschrieben. Er war gut mit Robert Schumann und seiner Frau Clara befreundet, besuchte deren Salonabende in Dresden.
Carus als literarische Vorschau auf den nächsten großen Roman
„Die Carus-Sachen“ sollen nun gleichsam eine literarische Vorschau sein für das, was kommen wird. Die lang ersehnte Fortsetzung für den „Turm“ als kleiner Kosthappen auf 73 schmalen Seiten. Statt in die turbulente Welt der Nachwendezeit wendet Tellkamp den Blick in seiner Erzählung jedoch erneut zurück. Im Namen von Carus spürt er Verbindungen aus Naturphilosophie und Romantik nach, erweckt die Figuren aus dem „Turm“ zu neuem Leben. Das ist neben Fabian vor allem dessen Vater Hans Hoffmann, Toxikologe an der Medizinischen Akademie und bekennender Carusianer. Durch Dresden wandelnd, verfolgt Hans Hoffmann mit seinem Sohn die Spur von Carus, entfacht Diskussionen, eng eingebettet in ein Netz aus Gleichgesinnten Carus-Fans.
Entschleunigung und Reflexion als Schreibprinzip
Behutsam überbrückt Tellkamp die Zeitsprünge von der Romantik in die 1980er Jahre. Er kann den Zauber des Turms in der Skizzenhaftigkeit dieses Erzählstückchens aber kaum heraufbeschwören. Die literarischen Bezüge zur Stadttopografie bleiben rar, sie beschränken sich auf die Med. Akademie, die Brühlsche Terrasse, die Eisenstuckstraße in der Südvorstadt und Blasewitz. Ähnlich wie der „Turm“ ist die Erzählung eine stilistische Aufforderung zur Entschleunigung, zum Innehalten und zur Reflexion. Die Sehnsucht nach Gestern klingt hier vielleicht sogar noch deutlicher an als zuvor. Die Romantik erscheint als der gelobte Sehnsuchtsort des Protagonisten. Wenn er mit seinem Vater durch die Stadtkulisse vorbei an Carus-Erinnerungsorten schlendert, fühlt man sich ein wenig wie auf einer Stadttour im historischen Kostüm.
Hommage bleibt Skizze, Erzählung ohne Anker
Doch bleibt die Hommage an Carus immer Skizze, scheint herausgerissen aus einem tieferen Zusammenhang, zu dem wohl allein die Figuren aus dem „Turm“ Zugang gewähren – und doch unvollendet. Man sucht den roten Faden, taucht in den kunstvoll aneinandergereihten Sätzen nach dem tiefen Sinn, während Romantiksäuselei sich mit Erinnerungen an das Dresden der 1980er Jahre abwechseln. Abgestiegen vom „Turm“ verfolgt man die Schritte der Protagonisten, lauscht ihren Gesprächen, wandert auf ihren Fersen durch Blasewitz zur Akademie. Naturlehre und Kunst hat Carl Gustav Carus einst in Theorie gesetzt. Gesammelt sind sie hier bruchstückhaft als „Carus-Sachen“. Zusammengefügt, ohne dass sich eine höhere Erkenntnis daraus schließen ließe.
Fakten über Carus sind in die fiktiven Spaziergänge eingewebt. So erscheint dieses feinsinnig edierte Büchlein mit den zarten Illustrationen von Dresdner Schauplätzen wie eine verträumte Schreibstudie von Uwe Tellkamp. Es bleibt ein Vorspiel, die allzu leise Ouvertüre zum Roman „Lava“, der daraus folgen soll. Eine Skizze eben, vollkommen in sich, frei nach Carus.
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