Herbstauslese: Peter Richters „89/90“ – ein Dresden-roman?
Zwischen all den Dresden-Krimis und historischen Romanen, neben kleinen Novellen à la Uwe Tellkamp und Essays kam 2015 mit „89/90“ ein Dresden-Buch ganz anderer Couleur heraus. Der Autor Peter Richter ist Dresdner des Jahrgangs 1973, Journalist im Hauptberuf und arbeitet seit 2012 als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in New York. Er widmet seiner Heimatstadt mit „89/90“ einen Wende-Roman jenseits des zuckerbestäubten Barock-Mythos und der tränenreichen Erzählungen von der Zerstörung der Stadt 1945.
In seinem Buch geht es nicht um den Mythos der Stadt, sondern vielmehr um den Mythos der Wendegeneration der 1970er Kinder. Dresden kommt nur am Rande vor, als Kulisse für eine Jugend in der DDR: Der Protagonist wohnt in Loschwitz, geht zu Fußballspielen von Dynamo Dresden. Er erzählt mit Ironie von den Gästen des K-Blocks, besucht seine Freunde im Neubaugebiet Prohlis ebenso wie die Adventsvesper in der Kreuzkirche. Er feiert Partys, die damals noch Feten hießen, zieht durch die alternative Neustadt. Er teilt sich die Schule mit den Kruzianern in Striesen und kämpft mit Sonderprüfungen fürs Abitur.
Es ist mehr ein Gesellschaftsbild, das Peter Richter zwischen den Zeilen vermittelt, eine subjektiv gewürzte Erzählung, die am Ende das Gefühl einer ganzen Generation darstellen soll. Er verzichtet jedoch auf nostalgisches Gedusel von Dresden oder der DDR. Und doch wird das Buch natürlich (auch) aus dem Dresden-Kolorit gespeist, weil Dresden eben nicht wie Berlin war. Es war die kleine Stadt an der Elbe, das Tal der Ahnungslosen, in dem die Jugend das Vorwendebrodeln nur als dumpfes Bauchgefühl wahrnahm. Der vergangenheitsseligen Idylle auf Tellkamps „Turm“ stellt Richter die kriegerischen Kämpfe von Nazis und Skinheads in Dresden gegenüber, von denen die Eltern der Protagonisten vermutlich nichts wussten.
Peter Richter erzählt dies alles mit trocken-bissiger Ironie, auch allerhand Selbstironie ist dabei und gewiss ein gutes Maß an Fiktion. „89/90“ ist kein Roman in prosaischer Form, sondern wirkt wie ein nachträgliches Tagebuch, eine Sammlung aus Erinnerungen, die sich nicht immer in einem stringent fließenden roten Faden zusammenfinden. Die Geschichte entspringt dem Leben des Autors. Geschichte made in Dresden, wenn man es so will. Nur, dass es darauf hier nicht ankommt, geht es doch letztlich um den aller letzten Sommers in der DDR und die Positionssuche der Jugend im Vakuum der Anarchie vor dem Beginn einer neuen Ära. Das alles jedoch erzählt Peter Richter mit Humor. Es ist jene Art Humor, wie sie nur die zeitliche Distanz von mehr als 20 Jahren erzeugen kann …