Sebastian Ritschel holt mit „Das Licht auf der Piazza“ eine Musical-Entdeckung nach Radebeul
Es ist ein Stoff wie aus dem Märchenbuch: Clara fährt mit ihrer Mutter in die Toskana und sofort verliebt sich der junge Florentiner Fabrizio in das blonde Mädchen. Was er nicht ahnt: Die Schöne ist nach einem Unfall in der Kindheit geistig ein wenig zurückgeblieben, weshalb ihre Mutter Margaret sie vor der Liebe zu Fabrizio unbedingt beschützen möchte. Nun wäre „Das Licht auf der Piazza“ (Fotos: Pawel Sosnowski) sicher kein erfolgreiches Broadway-Musical geworden, gäbe es für die beiden Liebenden nicht doch einen Lichtblick unter der Sonne des Südens. Regisseur Sebastian Ritschel hat das Potenzial dieses Stückes, vor allem der Musik von Adam Guettel, erkannt und die Deutsche Erstaufführung des Werkes an die Landesbühnen Sachsen geholt.
Das Libretto von Craig Lucas basiert auf der Erzählung „The Light in the Piazza“ von Elisabeth Spencer aus dem Jahr 1960. Es war sicher auch dem emotionalen Potenzial der psychologisch anspruchsvollen Geschichte geschuldet, dass sie schnell zur Film- und 2003 zur Musicalvorlage wurde. Die tiefe Psychologie scheint in Radebeul jedoch einer Wohlfühlkulisse zu weichen: Ritschel setzt in seiner Inszenierung an den Landesbühnen Sachsen auf Bilder von italienischen Landschaften, in denen die Sehnsucht nach Liebe, nach etwas Schönheit und Poesie anschaulich wird. Die Handlung spielt in einem riesigen Bilderrahmen, in dem immer wieder die Motive wechseln. Das erinnert in der Tat an Sets wie in „La La Land“ oder die phantasievolle Welt einer „Alice im Wunderland“. Es bringt dabei aber gekonnt Claras kindliche Sicht auf die Welt zum Vorschein.
Anna Preckeler gibt die Clara als Sonnenschein und naiven Spring-ins-Feld. Ihrer glasklaren Stimme fehlt es in den Höhen oft an Power, was sie mit Charme auf der Bühne wettmacht. Wenn sie Fabrizios Schwägerin eine wütende Eifersuchtsszene liefert oder sich umgeben von Geistern in der nächtlichen Stadt verläuft, gewinnt die Handlung kurz an Dramatik. Dabei ist Clara so unmittelbar und unbefangen wie ein Kind. Sie denkt nicht lange nach und folgt ihrem Gefühl vertrauensvoll ins „Licht auf der Piazza“. Ganz im Gegenteil zu ihrer Mutter, die Sarah Schütz nicht nur stimmlich als kraftvolle, lebenspraktische Lady zeigt. Margaret ist es nie gelungen, Verstand und Gefühl übereinzubringen. Claras Naivität hält sie die Erfahrung der Älteren entgegen. Am Ende ist sie neben Clara jedoch die einzige Figur, der eine Entwicklung im Stück anzusehen ist – hin von der verbissenen Beschützerin zur emotionalen Anwältin ihrer Tochter.
Die restlichen Figuren sind weniger Charaktere, als vielmehr klischeehafte italienische Typen. Gero Wendorff ist ein stimmlich starker Fabrizio, dem man bei seinen charmanten Bemühungen um Clara gern zusieht. Auch Kirsten Labonte bringt als Schwägerin Franca Feuer ins Spiel. Michael König tritt in der Rolle von Fabrizios Vater erst im Duett mit Margaret so richtig in Erscheinung. Antje Kahn und Edward Lee bilden den Rest der italienischen Familia allerdings ohne großen Gestaltungsspielraum. Das Gleiche gilt für Steffen Pietsch, der als Margarets Ehemann und Claras Vater nur für ein paar Ferngespräche am Telefon auftaucht.
Allen psychologischen Potenzialen zum Trotz – da braucht man sich nichts vormachen – ist und bleibt das Musical letztendlich eine zuckersüße Liebesgeschichte. Eine Art moderne Operette, unterhaltsam inszeniert. Das Beste daran ist die Musik: Guettel gießt die romantischen Vorstellungen des jungen Paares in schwelgerische Melodien, die sich aber deutlich vom lauschigen Singsang üblicher Musicalsounds abheben. Er orchestriert fast filmisch, beschreibt Figuren und Szenenübergänge in komplexen, bildhaften Klängen, wobei er auch Elemente der Oper aufgreift. Der Auftakt zum Stück klingt märchenhaft, wird aber schnell von jazzigen, modernen Tönen abgelöst. Claras Partie ist sprunghaft und lebendig gezeichnet. Margaret hingegen scheint deutlich geerdeter. So singt sie im zweiten Teil etwa von der Vergänglichkeit der Liebe als sei es ein unbedingt notwendiges Naturgesetz.
Hans-Peter Preu und der Elbland Philharmonie Sachsen gelingt es, den Facetten der Partitur wirkungsvoll Ausdruck zu verleihen. Besonders wo die schwelgerisch wogende Romantik vom dramatischen Flackern kurzer Angstmomente durchbrochen wird oder wenn die beiden Hauptfiguren in der Musik ihr Innerstes offenbaren, entfaltet dies seine ganze Faszination. Nicht immer ist die deutsche Fassung von Roman Hinze ideal auf die Melodiebögen abgestimmt. Der Entdeckung dieses Musicals, das letztlich von der Fähigkeit zu vorbehaltloser Liebe erzählt, tut dies jedoch kaum Abbruch. Gerade solche Liebe ist es schließlich, die die Welt derzeit dringend braucht.
Info: „Das Licht auf der Piazza“ an den Landesbühnen Sachsen, wieder am 29. September und 6. Oktober im Stammhaus Radebeul, am 26. Oktober in der Neustadthalle Neustadt sowie am 4.11., 7.12., 14.12. und 18.12. im Stammhaus Radebeul