Unsere Stadt verändert sich zusehends – Gedanken auf einem Herbstspaziergang
Überall wachsen sie derzeit in Dresden aus dem Boden, recken sich unter langen Kranhälsen zum Himmel: Neubauten, graue Betonblöcke, Gebäude in Schachteloptik. Die Stadt wächst. Ein schönes Zeichen. Zwischen Jugendstil- und Backsteinbauten vergangener Jahrhunderte entstehen neue Wohngebiete.
Vor meiner Haustür in der Südvorstadt wechseln die Bauzäune schon seit Monaten fast wöchentlich die Straßenseite. Gegenüber entsteht ein neues Haus, zwei Straßen weiter ein Forschungszentrum und um die Ecke eine riesige Einkaufsgalerie. Die Bäume davor tragen gelbe Blätter. Als sie zuletzt blühten, waren die Schatten der neuen Gebäude noch deutlich kleiner.
Als ich noch klein war, hat mir die Großmutter in ihren Erzählungen die Augen für die Südvorstadt der 1950er Jahre geöffnet. Im Trabi fuhren wir damals auf der Kaitzer Straße ums Karree, während ihre Jugend auf den Wegen von einst wieder lebendig wurde: Hochzeit, Familie, die erste eigene Wohnung mit Ofenheizung, Wäscherolle im Hof, Frisör und Bäcker gleich ums Eck.
Die Spuren dieser Tage waren damals, in den 1990er Jahren, noch recht lebendig. Einige sind bis heute nicht ganz verwischt. So lernte ich die Südvorstadt früh kennen.
Seit 2005 lebe ich nun diesem Viertel und sehe, wie es sich seither verändert hat. Alt und neu geht Hand in Hand: Die Schule meines Vaters hat einen prächtigen modernen Anbau bekommen. Die meiner Mutter strahlt, wenn auch in frischen Farben, dagegen nach wie vor ganz im Charme der 1960er Jahre.
Neben alten Garagenplätzen stehen neue Wohnhäuser. Zwischen den schönen Villen mit buntem Putz rumoren die Betonmischer. Kein Platz, der ungenutzt bleibt. Leben ist Veränderung. Nicht nur in der Südvorstadt. Am Postplatz erkenne ich mein Dresden manchmal selbst kaum wieder. Rohbau um Rohbau verändert die Sichtachsen von einst, während die Straßenbahnen unten ihre gewohnten Schleifen fahren. Nur wenige Schritte weiter trifft Postplatzmoderne auf Altstadtidylle. Faszinierende Kontraste, geschaffen von der Zeit.
Das Neue hält Einzug in Dresden. Und ehrlich: Ich finde neue Facetten, neue Ideen, Innovationen wirklich gut. Hier und dort allerdings wünschte ich mir dabei etwas mehr Sinn für Ästhetik und mehr Raum für Individualität. An manchen Ecken jenseits der Touristenpfade könnte man schon fragen: Ist das denn überhaupt noch Dresden oder einfach nur irgendeine langweilige Stadt? Austauschbar.
Doch auf dem Rückweg nach Hause denke ich dann wieder an die 1950er Jahre. Ich erinnere mich an die Erzählungen meiner Großmutter vom Krieg und an meine Kindheit in den 1990ern. Auch damals wurde viel in Dresden gebaut. Die halbe Stadt entstand neu, bekam ein junges Gesicht. An manchen Stellen wirkte die Verjüngungskur gut, an anderen war sie eher frevelhaft. In jedem Fall beweist sie damals wie heute, dass Dresden eine lebendige Stadt ist. Kein Museum.
Und wenn ich so alt bin wie meine Großmutter, werde ich vielleicht eigene Geschichten aus der Südvorstadt erzählen können. Von der Bauwut im Jahr 2018 und dem neuen Forschungsinstitut an der Hübner Straße, wo nur wenige Jahre später eine bahnbrechende Entdeckung gemacht wurde … Wer weiß das schon?
Folgt uns in der kommenden Woche auf Instagram auf einen virtuellen Spaziergang durch das alte und das neue Dresden: #kontrasteDD #elbmargarita