Die Staatsoperette zeigt mit Paul Abrahams „Märchen im Grand-Hotel“ ein humorvolles Spiel mit dem Spiel am Rande der Zeiten
Maskenball im Foyer, auf der Bühne das „Märchen im Grand-Hotel“: An der Staatsoperette Dresden geht es schwungvoll in die neue Saison. Als Auftaktpremiere steht mit der Lustspieloperette von Paul Abrahams (Foto: Pawel Sosnowski) nach dem Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda ein Stück auf dem Programm, das den Sound Berlins der späten 1920er Jahre mit Hollywoodsehnsucht verbindet.
Ja, die erneut von steigenden Infektionszahlen gerüttelte und geschüttelte Welt bleibt tatsächlich für eineinhalb unbeschwerte Stunden außen vor, wenn das Orchester der Staatsoperette Dresden unter der Leitung von Peter Christian Feigel im jazzigen Takt swingt und schwelgt. Abraham macht mit Tanzmusik von Walzer bis Foxtrott Laune, zu der das Ballett des Hauses in den einfallsreichen Choreografien von Mandy Garbrecht zu Höchstform aufläuft. Dabei steht nichts weniger als die ewige Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung im Zentrum des Geschehens, für das die Traumfabrik Hollywood den Rahmen bildet, während die im Glanz vergangener Zeiten schwelgenden Bewohner eines französischen Grandhotels zur Vorlage für ein neues Kinoprojekt avancieren.
„… was Pikantes und doch nicht zu Riskantes, was Keckes, was Erotisches, was Spannendes, Exotisches, Apartes, ganz Spezielles, kurz: was Sensationelles“, sucht Filmproduzent Makintosh (Bryan Rothfuss) für sein neues Filmprojekt in Hollywood – und dürfte damit das Dilemma heutiger Produzenten auf den Punkt bringen. Seine Tochter Marylou weiß jedoch Abhilfe. Flugs reist sie ins französische Luxushotel, um die dort logierenden Vertreter des entmachteten europäischen Adels selbst als Hauptdarsteller für ihre privaten Dramen zu engagieren. Reality-Soap made in the Golden Tweenties! Und siehe da: Ein keckes Flugzeugballett später trifft Marylou auf einen Hoteliers-Sohn, der sich als Kellner verkleidet, auf eine spanische Infantin, die vom goldenen Thron träumt sowie auf einen österreichischen Prinzen, der des Nachts gern mal seine Scherpe abstreift und der „kleinen Amerikanerin“ ganz besonders gut gefällt.
Allerhand Stoff für Verwicklungen also, die Regisseurin Cornelia Poppe mit einem Augenzwinkern und feinen, ironischen Zwischentönen, vor allem aber mit Freude an Details auf die Bühne bringt. Als Vermittler zwischen beiden Welten spielt Andreas Sauerzapf den Conférencier und Erzähler des Ganzen und schlüpft dabei immer wieder in die Rolle des Zimmerkellners Albert. Sauerzapf weiß nicht nur mit Charme, sondern mit samtiger Stimme zu bezaubern, etwa wenn Albert der Infantin Isabella vor der Hotelzimmertür schmachtend seine Liebe gesteht. Überhaupt gehört hier jeder zur Inszenierung: Da wird die Musikerin zur Souffleuse und der Dirigent zum Radiosprecher. Das Orchester verströmt nicht im Graben, sondern auf der Bühne galante Salonatmosphäre, doch eben nie ganz ungestört.
Es herrscht Leben in der Szene, in der Hotellobby ist immer was los. Und auch das Sängerensemble übertrifft sich an Spiel- und Sangesfreude beinahe selbst. Allen voran Beate Korntner und Gero Wendorff, die als Infantin Isabella und Prinz Andreas Stephan stimmlich vom ersten Augenblick an die Aufmerksamkeit fesseln. Während Korntners Isabella fast bis zum Schlussakkord im Typus der eitlen Prinzessin verharrt, darf Laila Salome Fischer in der Rolle der frechen Amerikanerin Marylou sich von Anfang an facettenreich präsentieren: Sie ist kluge Geschäftsfrau, selbstbewusstes Girl und findige Verhandlerin in einem, fasziniert dabei singend wie steppend und arbeitet hart am Happy End der Story, während alle andere Figuren eher im passiven Blick auf ihre eigenen Träume stagnieren.
Dass das nicht einfältig und altbacken wirkt, ist auch der Regie zu verdanken, die das Lustspiel mehr als Revue versteht und stets zur rechten Zeit auf Überraschungen setzt. Marcus Günzel etwa gibt nicht nur den Hausmeister und den smarten Hoteldirektor, sondern sorgt als schrullige Gräfin mit Perlenkette für Brüller im Saal. Das Herrenquartett Friedemann Condé, Georg Güldner, Michael Kuhn und Andreas Pester beschert als Produktionsteam wie im Ballett der Hotelpagen herzerfrischende Momente. Schließlich treffen die Hotelgäste auf die schönsten Filmerinnerungen, wenn Marilyn Monroe, Sisi, Audrey Hepburn und Zorro spontan auf einen Drink in der Jonny Bar hereintanzen. So erweist sich das gute alte Grandhotel nicht minder als Traumfabrik als das moderne Hollywood, damals wie heute – und nicht immer ganz unbeschwert, aber unbedingt mit Happy End.
Info: „Märchen im Grand-Hotel“ an der Staatsoperette Dresden, wieder am 29.9., 30.9., 2.10., 3.10., 4.10.