„Searching for Macbeth“ am Staatsschauspiel Dresden – eine Sonntagskritik aus dem zweiten Rang
Was für ein Jahr! Haben wir im Januar noch sorglos über manche Inszenierung am Staatsschauspiel hingewettert, dürstet es einen nun nach jedem Theatervorhang, der sich tapfer auch vor weniger als einem halbvollen Saal hebt. War „Abgesagt!“ das Schlagwort im März, lernt das sonst rege Dresdner Kulturleben seit dem Spätsommer allmählich wieder laufen. Von der Absagewelle erfasst wurde auch die Premiere der schon als neues „Kultstück“ gehandelten „Macbeth“-Inszenierung von Christian Friedel, der hier nicht nur als Regisseur, sondern auch in der Hauptrolle und als Frontmann seiner Band „Woods of Birnam“ (Foto: Sebastian Hoppe) das Zepter führen sollte.
Verschoben ist die mit 37 Mann besetzte Großinszenierung mittlerweile auf den 22. Januar 2021. Alles weitere scheint ungewiss. Klar ist aber bereits, dass es sich um eine Mischung aus Theater und Konzert handeln wird, die ganz in der Tradition des 2012 mit Friedels „Hamlet“ erwachten Hypes in Dresden steht. Und siehe da: Zum Auftakt in eine ungewisse Spielzeit kredenzt Staatsschauspiel-Intendant Joachim Klement nun allen Neugierigen, von der jähen Kulturpause gebeutelten Friedel-Fans ein Trostpflaster: „Searching for Macbeth“ heißt das eine Stunde und zehn Minuten lange Stück, das als „konzertante Aufführung“ im Programm des Hauses angekündigt wird.
Und eines muss man schon sagen: Ob Fan oder nicht, Christian Friedel weiß mit wohl gewählten Worten und einem ausgeklügelten Sound- und Lichtkonzept (Torsten Staub, Johannes Zink) wahrlich Lust zu wecken auf vollmundige Theaterfreuden, wie wir sie bis Mitte März (und vielleicht allzu selbstverständlich) noch für „normal“ hielten. Schon beim Eintreten in den hygienisch-clean nur zu einem Drittel gefüllten Saal erfasst uns Düsternis. Brannte der Kronleuchter nicht früher prachtvoller, strahlte das Licht nicht heller? Jetzt flackert es. Es hat sich grauer Staub gelegt auf die Ränge und auf die Theaterseelen, seit Kunst sich der allgegenwärtigen Vorsicht untergeordnet hat.
Doch genug der Jammerei. Auf einen markerschütternden Knall folgt eine Filmsequenz, wie eine Doku. Kino im Theater. Christian Friedel und seine Kollegen erzählen hier eindrücklich von den ersten Proben zu „Macbeth“ Anfang des Jahres, von der diffusen Angst, die mit jeder Probenwoche stärker durch das Ensemble kroch. Ein zunächst nur schwer greifbares Unbehagen, dass sich mit dem Virus Tag für Tag wie unsichtbare Nebelschwaden weiter über der Welt ausbreitete. Auch jetzt, in „Searching for Macbeth“ ist es noch spürbar, es hängt von der ersten Szene an über dem Raum. Nein, das hier ist kein Theater! Noch nicht. Es ist eine theatrale Vorschau, eine abendliche Matinee für das, was kommen soll. Ein Trostpflaster eben, das uns ermöglicht, zumindest 70 Minuten lang wieder Theaterluft zu schnuppern. Und Christian Friedel tut alles, um dieses Erlebnis so emotional wie möglich zu gestalten, Erinnerungen zu wecken, an unbeschwerte Theaterabende, umringt von vielen Menschen.
Dass der Schlussapplaus dünn klingt, liegt nicht an ihm. Fast möchte man den Jubel aus dem Parkett dazu laut aufdrehen wie einen dieser Wohlfühlsongs im Radio. Obgleich es eben bloß ein theatraler Traumfetzen ist, der da vorbeischwirrte. Ein bisschen Shakespeare war auch dabei, verzweifelte Texte von einem Königsmörder und seiner Frau, klug vorgetragen. Ein bisschen leidenschaftlicher vielleicht noch von Christian Friedel als Macbeth, als von Nadja Stübiger in der Rolle der Lady. Doch packt es den Zuschauer dann am meisten, wenn Friedel und seine „Woods of Birnam“ die Theater- zur pulsierenden Konzertbühne machen, wenn sphärische Elektroklänge knistern, die Bässe aufdrehen und Lichtkugeln wie verirrte Schneeflocken über die Ränge tanzen. Blut fließt hier in Form von rotem Licht, der Rest bleibt Düsternis. Philipp Makolies (Gitarre), Uwe Pasora (Bass), Onno Dreier (Keyboard) und Christian Grochau (Schlagzeug) aber drehen zusammen mit Frontmann Friedel richtig auf, um Shakespeares gespenstigen Wald von Birnam mit Leben zu füllen. Am Ende sind die Worte „Coming Soon“ als Abspann zu lesen. Es ist die Frage, ob sie das Unheil meinen, das Shakespeares fanatischer König heraufbeschwört oder jenes Leben, das sich nach und nach wieder in den Theaterhäusern der Stadt auszubreiten und die letzten Funken der Unsicherheit sachte zu vertreiben beginnt …
Info: „Searching for Macbeth“ am Staatsschauspiel Dresden (Großes Haus), wieder am 8. November