Ein Frühlingsspaziergang im sonst grauen Februar
Und täglich grüßt das Murmeltier. Auf einem Spaziergang durch Dresden scheint uns die Sonne warm ins Gesicht. Der Schnee ist weg, hinterm Hauptbahnhof sprießen schon die ersten Krokusse. Das allerdings ist auch schon alles, was sich in den vergangenen Tagen verändert hat. Kaum zu glauben, aber Woche Nr. 16 des kulturellen Lockdowns in Deutschland geht zu Ende. Eine seltsame Zeit im verordneten Stillstand.
Es sind fast vier Monate, in denen die Stimme der Kultur schweigt. Die Freiheit der Kunst – fest im Grundgesetz verankert – beschränkt sich seit 16 Wochen vorrangig auf Streaming, Fernsehen sowie das heimische Bücher- und CD-Regal. Und allmählich finden wir, wird es Zeit, hier auch einmal das Wort zu erheben. Nicht unvernünftig, sondern mit Respekt und Weitsicht.
Ein „Monsterfisch“ hat’s vorgemacht: Erwin23 erschien eines Tages im Februar ebenso unerwartet wie ungemeldet am Dresdner Elbufer. Selbst die Stadtverwaltung fand ihn so „cool“, dass sie ihm sein nicht ganz legales Auftauchen im Naturschutzgebiet verzieh. Das Werk des Künstlerkollektivs HRB+C habe den Menschen Freude bereitet und Farbe in die Stadt gebracht in grauen Zeiten. Ungefragt, aber dafür ganz hygienekonform! Eine der schönsten Nachrichten der aktuellen Woche war daher die vom Auftauchen eines neuen Tiers, das die Aktion nun am Albertplatz fortsetzt.
Denn Erwin 23 zeigt so viel: Kunst kann uns zum Lächeln bringen, zum Nachdenken anregen, unsere Herzen trösten und die Menschen einen. Sie strömt wie ein wärmender Sonnenstrahl in unserem Alltag, erfreut wie ein Krokus am Wegesrand. Wann also haben wir ein bisschen Kreativität, wann haben wir die Kunst, die Musik, das Theater wohl mehr gebraucht als gerade jetzt? Jetzt, wo alle Tage gleich sind: Zum Kaffee am Morgen gibt’s die aktuellen Corona-Zahlen, darauf folgen Videokonferenzen und einsame Arbeit im Homeoffice.
Der Austausch mit anderen bleibt seit Wochen schon auf ein Gespräch mit den Nachbarn im Hausflur und viele Telefonate beschränkt. Und selbst der tägliche Spaziergang am Nachmittag droht allmählich in Belanglosigkeit abzugleiten. Immer dieselben Straßen, die vertrauten Häuser, fast immer dieselbe Tour. Würden nicht Weggefährten wie Erwin 23 keck aus der grauen Winterluft gucken, wir wären ganz verloren mit uns selbst. Jeden Samstag aufs Neue schieben wir uns durch dichtes Gedränge im Supermarkt, aber die Säle in den Spielstätten bleiben leer. Kann das wirklich unser Ernst sein?
Es sind noch etwa drei Wochen, dann jährt sich die erste Schließung von Museen, Konzert- und Theaterhäusern zum ersten Mal. Alle wissen, dass sie damals notwendig war. Doch inzwischen müssen wir uns fragen, was wir in diesem ganzen Jahr denn eigentlich gelernt haben? Wir verharren im Nichtstun, im Warten, fallen immer wieder in Schockstarre in Anbetracht der Zahlen. Wir lassen uns von einem Virus aufs Sofa verbannen, bleiben passiv, statt kreativ zu werden! Niemand erwartet heute voll besetzte Säle. Was wir nach all der Zeit aber mehr denn je brauchen, ist Seelennahrung, sind neue Ideen und Kunst, die unseren Alltag beflügelt. Ohne sie werden Konzert- und Theaterhäuser zu leeren Hüllen und Museen zu toten Archiven verkommen, wird die Kulturstadt Dresden bald nur noch eine schöne Kulisse sein.
Ein Kommentar
Ich erinnere mich noch ganz genau an meine Zeit an der Inge-Aicher-Scholl, wo ich mich jeden Tag auf Befehl meines Klassenleiters, gelblendet von der Pflicht, (ja geradezu in Schockstarre!) auf der Suche nach Seelennahrung begeben habe. Was für schöne Zeiten das waren, die sind jetzt aber dank des sogenannten „Lockdowns“ vorbei! Danke Regierung!