Wie Dresden den Alltag neu erfand: das industrielle Erbe der Stadt
Kunstsinnig und voller barocker Pracht sei die Stadt, sagt man von Dresden. Und tatsächlich stolpern wir auf dem holprigen Pflaster der Altstadt an allen Ecken über Kultur. Doch nicht nur große Künstler wie Ludwig Richter, Caspar David Friedrich, Richard Wagner, Robert Schumann oder Carl Maria von Weber haben sich in Dresden ein Köpfchen über die Welt gemacht. Allzu oft vergessen wir im berauschenden Spiegelbild vergoldeter Tanzsäle, dass Dresden auch in Wissenschaft und Wirtschaft ein Ort der Erfinder und Visionäre war.
Kein Wunder, denn vielfach wurden deren Spuren nach den Weltkriegen verwischt und sind im Gegensatz zur prächtigen Architektur vergangener Tage nie wieder auferstanden. In diesem Beitrag wollen wir einmal an die Industriekultur der Stadt erinnern und mit ausgewählten Beispielen zeigen, dass Dresden keinesfalls so konservativ rückwärtsgewandt ist (und war) wie manche behaupten:
Dresden, die Porzellanstadt:
Schauen wir uns das Erbe Johann Friedrich Böttgers (1682–1719) an, welcher 1710 bekanntlich anstelle der Formel zur Herstellung von Gold das europäische Porzellan erfand und später als Gründungsadministrator der Porzellanmanufaktur Meissen wirkte. Seine Verdienste lassen sich bis heute in der Meißner Manufaktur sowie in der Porzellansammlung im Zwinger erkunden. Ein liebevoll gedeckter Tisch ohne Porzellangeschirr? Undenkbar!
Dresden, die Wiege der Präzisionsuhren:
Heute zeigt uns das iPhone die richtige Zeit, vor 200 Jahren war es die Taschenuhr. Im Mathematisch Physikalischen Salon genoss damals Ferdinand Aldolph Lange (1815–1875) seine Ausbildung zum höfischen Uhrmacher. Nach Wanderjahren in Frankreich, der Schweiz und Großbritannien kehrte er in die Heimat zurück, um in Glashütte ein frühes „Silicon Valley“ der Uhrmacherkunst aufzubauen. Lange begründete von Dresden aus die Wiege der deutschen Präzisionsuhrmacherkunst und trug mit seinem damals innovativen Produktionsmodell in Glashütte wesentlich dazu bei, dass sehr präzise Taschenuhren bald zu akzeptablen Preisen in wirtschaftlichen Stückzahlen hergestellt werden konnten.
Dresden, die Schokoladen-Hauptstadt:
Was wäre das Weihnachtsfest ohne Adventskalender, Dominosteine oder süße Telläpfel? Alle drei wurden in Dresden erfunden, das Anfang des 20. Jahrhunderts DIE Schokoladenhauptstadt Deutschlands war. Ob es nun daran liegt, dass schon August der Starke sich seinen Kakao gern in einer Tasse aus Meissner Porzellan ans Bett bringen ließ oder am Erfindergeist der Schokofabrikanten in der Stadt: Im Jahr 1910 zählte Dresden sage und schreibe 26 Schokoladenfabriken mit mehr als 4000 Mitarbeitern, die unsere süßen Gabenteller bis heute geprägt haben.
Dresden, die Stadt des gepflegten Kaffeegenusses:
Nicht der süße, sondern der herb bittere Genuss von Kaffee stand für Melitta Bentz (1873–1950) im Fokus, als sie den ersten Kaffeefilter erfand. Um den Kaffeesatz aus der Tasse zu verbannen, nutzte sie Löschblätter aus den Heften ihrer Söhne, die sie in eine Konservendose mit durchlöchertem Boden legte. Zusammen mit ihrer Familie vermarktete sie das Patent von 1908 bis zum Umzug der Firma nach Minden 1929 in einem Hinterhaus in Dresden-Trachau, das bis heute existiert. Wie würde uns der Kaffee wohl schmecken, hätte die gebürtige Dresdnerin damals in der Küche nicht mit dem Löschpapier ihrer Kinder experimentiert?
Dresden, die Zigaretten-Metropole:
Führend war Dresden bis Mitte des 20. Jahrhunderts auch in der Zigaretten-Produktion. Sicherlich nicht das gesündeste Kapitel der Dresdner Industriegeschichte, dafür aber eines der bedeutendsten: Wohl ist bekannt, dass die Yenidze niemals ein Gotteshaus war, sondern das Stadtbild als Zigaretten-Fabrik mit orientalischem Look prägte. Seltener ist jedoch davon die Rede, dass sie 1920 nur eine von insgesamt 141 Zigaretten-Fabriken in Dresden war. Das Erbe der Zigarettenproduktion wurde von der Firma F6 immerhin noch bis 2019 fortgeführt.
Dresden, die Hygiene-Hauptstadt:
„Vor dem Schlafen, nach dem Essen: Zähne putzen nicht vergessen!“ – Richtig, auch auf dem Gebiet der Mundhygiene war Dresden ein Vorreiter. Noch heute weht in der Katharinenstraße 4 ab und an der Duft von „Putzi“-Zahncreme durch die Lüfte. Anfang des 20. Jahrhunderts nahmen die Leo-Werke als Produzent von Chlorodont-Zahnpasta hier ihren Betrieb auf und expandierten bis 1924 mit über 1500 Beschäftigten zum größten Zahnpflegemittelhersteller in Europa. Etwa zur gleichen Zeit entwickelte der Dresdner Chemiker Bruno Richard Seifert ein antiseptisches Mundwasser, das sein Freund Karl August Lingner mit einer damals beispiellosen Marketingkampagne erfolgreich am Weltmarkt etablierte, wo es bis heute unter dem Namen „Odol“ bekannt ist. Auf Lingner geht nicht nur die pfiffige Optik der Odol-Flasche zurück, er bewegte den italienischen Komponisten Giacomo Puccini auch dazu, für das Mundwasser eine „L’ode all‘ Odol“ zu komponieren.
Dresden, die Kamera-Stadt:
Und dann ist da noch die Kameratechnik: Fast 100 Jahre lang war Dresden das europäische Zentrum der Foto- und Kinoindustrie. Heute verbinden wir mit der Kamerastadt vor allem das alte „Pentacon“ und den Ernemann-Turm in Striesen. Dabei zählte die Kamera-Industrie damals rund 150 Hersteller von Fotoapparaten, Kameras, Projektoren, Fotopapieren usw., deren Innovationen teils legendär geworden sind. Anhand eines virtuellen Rundgangs lässt sich die Kamerastadt Dresden bis heute live erkunden.