Staatsoperette Dresden zeigt den Mythos „Casanova“ als doppelbödiges Revuetheater
Er verführte, spielte und reiste um die Welt. „Casanova“ ist der Innbegriff des Herzensbrechers, Ikone und Symbolfigur zugleich. Keine Frage, dass der Mythos dieses Mannes sich wie vielleicht kaum ein anderer als Stoff für eine Revue-Operette eignet. Die ist jetzt mit der Musik von Johann Strauß und in einer Bearbeitung von Ralph Benatzky an der Staatsoperette Dresden (Fotos: Pawel Sosnowski) zu sehen. Regie führt Sabine Hartmannshenn.
Christian Grygas mimt hier den wilden Verführer. Und er darf auf der Bühne von Lukas Kretschmer und Edith Kollath nicht nur in weiblicher Zuneigung, sondern auch in großen Bildern baden. Die Showtreppe deutet das Revuesujet auch optisch an, sie lässt sich flexibel zu einem kunterbunten Stationen-Theater ausbauen, in dem die schönsten Orte Europas wie in einem großen Traum vorüberziehen: Venedig, Tarragona, Wien und Potsdam – immer versehen mit allerhand Lokalkolorit, seien es Gondeln, Stierkampf, Walzerklänge oder das famose Ballett der Pickelhauben in Sanssouci. Casanova liebt sich durch die Welt. Anders als im wahren Leben ist in dem federleichten Stück jedoch nicht Schloss Dux im Böhmischen die Endstation des Verführers. Das obligatorische Happy End erwartet ihn, dies sei schon vorweg genommen, in einer schaukelnden Gondel in Bella Venezia – mit seiner Laura (Maria Perlt-Gärtner) im Arm.
Doch hinter den Kulissen, in einer kleinen Kammer am Rand der Bühne, zeigt sich der Held und Weltenbummler nicht nur als selbstbewusster Schürzenjäger. Casanovas Alter Ego gibt Peter Lewys Preston mit grantigem Charme und viel Showtalent. Den Staubwedel schwingend wartet er des Nachts auf den verkaterten Frauenhelden, um ihm gehörig den Marsch zu blasen. Wenn Casanova im Morgengrauen von Selbstzweifeln und seinen Gefühlen heimgesucht wird, bekommt das schillernde Vergnügen der Nacht einen faden Geschmack. Sabine Hartmannshenn macht den Kontrast zwischen oberflächlichem Zeitvertreib und innerer Zerrissenheit des Protagonisten zum unterhaltsam-tiefsinnigen Kontrapunkt ihrer Inszenierung. Diese Begegnungen Casanovas mit sich selbst wirken wie ein kabarettistisches Intermezzo zwischen den einzelnen Showszenen der Revue.
So lässt sich das Stück kurzweilig auf die Bühne bringen. Die Musik tut ihr Übriges zu einem gelungen schwungvollen Operettenabend, der prächtig unterhält, ohne einfach nur belanglos schön zu sein. Das Orchester der Staatsoperette Dresden läuft unter der Leitung von Christian Garbosnik zur Hochform auf, es schwelgt in Walzerklängen und lässt die Leidenschaft zwischen Venedig und Spanien gehörig brodeln. Rasant wechseln die Bilder. Ballett- und Chorszenen sind in der Choreografie von Jörn-Felix Alt, gepaart mit den phantasievollen Kostümen von Edith Kollath, ein wahrer Augenschmaus.
Das Ensemble geht voller Spielfreude in dieser der glanzvollen Show auf: Jeanette Oswald schwebt als unnahbare Tänzerin Barbarina divenhaft über die Bühne, während Florentine Schumacher die berlinernde Göre Trude als freche Kumpeline mit Herz zeigt. Steffi Lehmann ist eine extrovertierte Helene und Dominica Herrero Gimeno eine äußerst feurige Dolores. Am Ende erliegt sogar bei die Kaiserin Maria Theresia dem unwiderstehlichen Charme Casanovas – eine royale Lady, der Ingeborg Schöpf Würde und Herzenswärme verleiht. So richtig lässt im Reigen dieser Damen jedoch nur eine heimlich das Herz des Herzensbrechers höherschlagen: Die schöne Laura, eigentlich an den Offizier Hohenfels vergeben. Maria Perlt-Gärtner gibt die Laura als schüchternes, verträumtes Mädchen, das in Casanova zunächst einen Beschützer und später den Liebhaber findet. In ihrer finalen Begegnung mit Casanova flammt dann kurz vorm Schluss noch einmal pure Tragik auf.
Stimmlich verführen an dem Abend zweifelsohne beide Geschlechter. Christian Grygas sorgt für berührende Momente, Václav Vallon als Hohenfels ist ihm ein ebenbürtiger Gegenspieler. Als Costa schindet Andreas Sauerzapf stimmlich wie komödiantisch Eindruck und Dietrich Seydlitz gibt als Graf Waldstein in Strapsen einen nicht ganz männlichen Träumer.
Am Ende erliegt auch das Publikum den Geschichten des großen Verführers und Lebemanns Casanova. Die Inszenierung hinterfragt den Mythos auf raffinierte Art, ohne ihn zu entzaubern. Was wäre die Welt, was wäre das Theater schließlich ohne die Liebe, ohne Spiel, Verführung und ohne das nötige Quäntchen Übertreibung? Nicht mehr als ein dunkler Kasten, ohne Freude. Es lebe Casanova!
Info: „Casanova“ an der Staatsoperette Dresden, wieder am 21., 22., 23. September und 8., 9. Oktober 2022