Lesetipp im März:
Jean-Baptiste Andrea „Von Teufeln und Heiligen“
Es ist, als kennen wir ihn alle, diesen Erzähler. An Flughäfen und Bahnhöfen sitzt er am Klavier und lässt die Passanten für einen Augenblick in den Tönen Beethovens innehalten. In einem Waisenhaus am Rande der Pyrenäen hat Joseph ihn gefunden, jenen Rhythmus, der Noten zu Emotionen, Melodien in packende Dialoge verwandelt – und die Menschen im Innersten zu berühren vermag. Wie die Musik spricht der Protagonist in Jean-Baptiste Andreas Roman „Von Teufeln und Heiligen“ die Leser sofort direkt an, zieht sie ohne Umschweife hinein in seine traurige Lebensgeschichte, die zugleich eine wundervolle Hommage an Beethoven ist!
Nachdem Eltern und Schwester bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, landet Joseph im Confinium, einem christlich geführten Waisenhaus in den Pyrenäen, in dem der Junge den vielleicht teuflischsten aller Heiligen begegnet. Ein dunkler Ort, an dem man sich sogar seine Freundschaften erzwingen muss. Erst nach und nach knüpft er zarte Bande zu den anderen, lernt sich im strengen Rhythmus des Tagesablaufs zu behaupten und versucht doch mehr als nur einmal daraus auszubrechen.
Niemals verlassen ihn in der Einöde der kalten Mauern die Sonaten Ludwig van Beethovens, einst in endlosen Klavierstunden bei seinem strengen Lehrer Rothenberg einstudiert, dem niemals gut genug war, wie Joe spielte und der dessen kleine Schlampigkeiten stets mit einem Klaps auf den Hinterkopf rügte. Erst nach und nach versteht der Junge, was Rothenberg unter Rhythmus verstand, was er meinte, wenn er sein Spiel als unzureichend kritisierte. Denn erst die Begegnung mit der Unbarmherzigkeit der Welt des Waisenhauses, die Erfahrung des rauen Lebens lassen ihn erkennen, welche Emotionen Beethoven mit seiner Musik auszudrücken vermag.
Jean-Baptiste Andrea erzählt diese Geschichte mit einer Gelassenheit, die an französische Kinofilme erinnert. Ganz langsam gleitet der Leser hinein in das Schicksal dieses Jungen, folgt ihm von der behüteten Familie in die nackte Kälte des Waisenhauses, die auch in der poetischen Sprache der Übersetzung sofort fühlbar wird. Von Melancholie getränkt ist diese Erzählung, deren Protagonist immer wieder den direkten Kontakt mit dem Leser sucht, ihn einbezieht und so gekonnt die Distanz zum Erlebten aufhebt. Wer weiß schon, was der Straßenmusiker von nebenan für eine Geschichte mit sich trägt?
Stück für Stück entpuppt sich Puzzleteil für Puzzleteil, bis sich das Gesamtbild allmählich vor dem Auge des Lesers zusammenfügt – und ihn gefangen nimmt wie eine Sonate von Beethoven. Allzu gern möchte man ihn beim Lesen einmal spielen hören diesen Joseph, die Kraft und Melancholie seines Anschlags spüren – Beethoven in seinem Spiel wahrhaftig entdecken. Es gelingt mit der Kraft der Buchstaben, die Kraft der Noten zu beschreiben – eine wundervolle Hommage an die Musik und ihre Bedeutung in düsteren Tagen.
Buchinfo: Jean-Baptiste Andrea „Von Teufeln und Heiligen“, Oktober 2022 bei Penguin Random House Verlagsgruppe