Kultur in arktischen Gefilden

Das norwegische Bodø ist Europas Kulturhauptstadt 2024

Norwegen ist Natur: Tiefe Fjorde, hohe, schneebedeckte Berge, kurvenreiche Straßen durch dicht bewaldetes Gebiet und wildes Meer sind die Markenzeichen des Landes im hohen Norden. Von all dem hat auch Bodø reichlich. Wo einst Fischer und Händler auf ihrem Weg von der Hansestadt Bergen zum Nordpol Halt machten, brummt 2024 der Veranstaltungskalender. In der Minimetropole oberhalb des Polarkreises, wie die Norweger Bodø anlässlich des laufenden Kulturhauptstadt-Jahres liebevoll getauft haben, weht diesen Sommer ein frischer Wind.

Keine Frage, die knapp 60.000 Seelenstadt wurde im Vorfeld des Kulturhauptstadt-Jahres noch einmal richtig aufgemöbelt. In der Innenstadt reiht sich ein schickes Hotel an das nächste, entlang der Hafenkante locken edle Restaurants mit Meeresfrüchten und Sterneküche. Am Konzerthaus Stormen mitten in der City weht stolz die rote Kulturhauptstadt-Flagge und die 2008 eröffnete Bibliothek glänzt am Hafen wie ein aufgeschlagenes Buch in der Sonne.

Letztere scheint hier im Sommer bei klarem Himmel ohne Pause. Die Mitternachtssonne, welche nicht unter Horizont versinkt, lässt die Tage endlos erscheinen und lädt selbst zu später Stunde noch zu taghellen Spaziergängen an der Küste ein. Dafür ist’s in Bodø dann im Winter über mehrere Monate hinweg komplett dunkel – zumindest wenn nicht gerade die Polarlichter übers Firmament tanzen.

Bei derart spektakulärer Landschaft, was braucht es da noch Kultur, ist man fast gewillt zu fragen. Und tatsächlich offenbart sich beim Besuch in Bodø eine herrlich unkonventionelle Herangehensweise an das Thema Kultur- und deren Hauptstadt in Europa. Ohne die Last der Tradition, so zeigt sich hier überzeugend, lässt sich ein solches Eventjahr lebendiger denn je gestalten, vor allem aber als Erlebnis für alle planen.

Wer Norwegen kennt, wird schon ahnen, dass ein Trip in die Kulturhauptstadt Bodø kein reiner Städtetrip sein kann. Der Radius der Kulturhauptstadt-Region ist über dem Polarkreis weiter als woanders. Er reicht bis auf die weit im Meer vorgelagerten (nur nach drei bis fünf Stunden Fährüberfahrt erreichbaren) Lofoten oder ins drei Autostunden entfernte Hamarøy, der Heimatstadt des norwegischen Nationalschriftstellers Knut Hamsun. Alle Kulturhauptstadt-Stationen abzuklappern, scheint unter diesen Umständen beinahe unmöglich. Doch das muss auch nicht sein.

Die Landschaft rings um Bodø verführt neben der Mitternachtssonne mit karibisch weißen Sandstränden, spitzen Berginseln im Meer und sensationellen Aussichten auf Fjorde und Gebirge. Sie ist es allemal wert, erkundet und entdeckt zu werden – ob nun mit oder ohne kulturellem Endziel. Da ist zum Beispiel die kleine Insel Kjærringøy, etwa eine Autostunde entfernt, die mit einem guten Restaurant und herrlichen Badebuchten auch unter norwegischen Promis als Geheimtipp gilt. Für Abenteurer empfiehlt sich ein Bootsausflug zum Saltstraumen, dem größten Gezeitenstrom der Welt, nur zehn Kilometer vor der Stadt.

Dazu gibt es in Bodø 2024 natürlich ein für die Region ungewöhnlich dichtes Kulturprogramm, das Kunstausstellungen in zahlreichen Galerien, klassische wie Pop-Konzerte, auch eine Opern-Weltpremiere einschließt und Menschen aus Nah und Fern anlockt. Das Hamsun-Center in Hamarøy und das Elternhaus des Schriftstellers sind nur einen Tagesausflug von Bodø entfernt. Auch das jährliche Kammermusikfest auf den Lofoten wurde ins Kulturhauptstadt-Programm integriert, wobei sich hier die Anreise vom Festland aus wohl etwas schwieriger gestaltet.

Alles in allem scheint man in Bodø weniger zu fragen: Was können wir als Kulturhauptstadt zeigen? Es geht vielmehr darum, die dünn besiedelte Region über dem Polarkreis mit einem all umfassenden Programm aus Kultur, Sport, Natur, Historie und typisch arktischer Kulinarik in diesem Jahr nachhaltig zu stärken. Dies gelingt vielleicht am besten mit Meisterschaften wie der EuroGym, einem Turnwettbewerb, der Mitte Juli 3000 junge Menschen aus ganz Europa nach Bodø, und mit ihnen eine wundervolle unbeschwerte Atmosphäre auf die Plätze und Straßen der Stadt brachte. All die jungen Teilnehmer werden die sonnenbeschienenen Sommernächte im hohen Norden sicher in wehmütiger Erinnerung behalten und im besten Fall später als Touristen einmal hierher zurückkehren!

Kultur, das ist der überzeugende Ansatz dieses Konzeptes, ist eben noch so viel mehr: Es ist der Spaziergang durch weite Landschaften, in denen wie selbstverständlich Schafe über die Straßen wandern. Es ist die Sonne, die ihr goldenes Licht um Mitternacht über Hafen und Bergkuppen gießt wie in einem Gemälde von Edvard Munch. Es ist das Glück, das wir empfinden, wenn wir nach einer langen Wanderung endlich die Füße ins kristallklare Meerwasser strecken und die liebevoll zubereitete Mahlzeit aus regionalen Spezialitäten am Abend. Kultur ist nicht zuletzt das Gefühl der Gemeinschaft, das entsteht, wenn wir zusammen mit anderen einem Konzert lauschen oder den Jubel der jungen Turnerinnen beim Wettkampf vernehmen.

Bodø ist in diesem Jahr eine Hauptstadt der Kultur und sie wird gewiss bei vielen auf lange die Kulturhauptstadt der Herzen bleiben. Einfach, weil sie sich zeigt, wie sie ist und dabei keine Sekunde nach etwas sucht, das sie nicht hat.

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