Wolfgang Engel inszeniert Heinrich von Kleists „Amphitryon“ am Staatsschauspiel
Heinrich von Kleists „Amphitryon“ erklärt die Gewissheit allen Seins für nichtig. Das Spiel der verwirrten Identitäten, in dem göttliche Doppelgänger alle Tatsachen, die uns klar erscheinen, ins Wanken bringen, erschien 1807 nach einer Vorlage von Molière in Dresden, uraufgeführt wurde es in Berlin. In der Inszenierung von Wolfgang Engel feiert Kleists Stück (Fotos: David Baltzer) nun Premiere (4.2.) am Staatsschauspiel Dresden. Und auch hier weiß am Ende niemand mehr so recht, wo die Grenze zwischen Lustspiel und Tragödie verläuft, denn Kleist stellt einmal mehr die bestehende Ordnung in Frage, indem er seine Figuren in einen unauflösbaren Strudel der Irritation schickt.
„Mio, mein Mio“ als Plädoyer für die Phantasie am Staatsschauspiel Dresden
Ach, wie gerne würden wir uns doch manchmal so eine geheime Flaschenpost wünschen. Einen Geist, der uns aus der grauen Realität hinaus in ein buntes Zauberreich der Phantasie trägt. So wie den Jungen Bosse in Astrid Lindgrens Märchen „Mio, mein Mio“ (1954). Dieser Bosse verschwindet einfach aus seinem Neubauviertel, und landet in den Armen seines Vaters, dem König eines Reiches, in dem es fliegende Pferde, glitzernde Seen und sprechende Brunnen gibt. Ein Reich also, in dem der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind. In der Regie von Matthias Reichwald zieht diese Erzählung nun als bildstarkes Vorweihnachtstheater (Fotos: PR/David Baltzer) die großen und kleinen Zuschauer am Schauspielhaus in ihren Bann.
„In Moskau blüht Anfang Mai alles.“ – In Moskau, da ist sowieso alles besser als in der russischen Provinz. Das ist auch der Grund, warum es Anton Tschechows „Drei Schwestern“ (1901) nach Moskau drängt. Doch Olga, Mascha und Irina kommen dennoch nie dort an. Hausregisseur Tilmann Köhler inszeniert diesen Klassiker, der 1901 – vier Jahre vor der Russischen Revolution – seine Uraufführung feierte, nun für das Staatsschauspiel in Dresden. Es ist ein zeitloses Stück, das von der Lethargie des unmittelbar bevorstehenden Untergangs erzählt – widergespielt in den Charakteren der Figuren, die wiederum nur von sich selbst reden, anstatt mit anderen in Dialog zu treten.
Staatsschauspiel feiert mit „King Arthur“ Jubiläum
Ausgerechnet mit einem pompösen, barocken Herrscherlob feiert sich das Dresdner Staatsschauspiel zur 100. Spielzeit selbst. Die Semiopera „King Arthur“ von John Dryden und Henry Purcell ward 1691 zur Legitimierung der englischen Monarchie uraufgeführt und soll den Dresdnern anno 2013 wohl zeigen, was sie an ihrem Theater haben. Wie sonst sollte man den Prolog zu diesem Stück verstehen, das nicht ganz Oper, aber auch nicht ganz Schauspiel – insofern also weder Fisch noch Fleisch – ist? Die Engstirnigkeit der Dresdner wird da mal wieder gescholten. Das Theater als Spiegel der Gesellschaft gelobt. Wo Armin Petras hier in den Originaltext Drydens eingriff, ist schnell klar.
Auf der Bühne des Großen Hauses zeigen nun beide Staatstheater, Oper und Schauspielhaus, in Kooperation, was die Dresdner an ihnen haben. Gemeinsam erzählen Schauspieler und Sänger unterstützt vom Orchester Collegium 1704 hier die Geschichte König Arthurs von England, der sein Territorium vor dem Sachsen Oswald, König von Kent, verteidigen muss. Regisseur Tilmann Köhler inszeniert dieses überbordende Werk aus einer längst vergangenen Zeit ganz ohne Pathos, aber mit einem kräftigen Ausgenzwinkern. Nicht die angelsächsische Völkerschlacht von damals, sondern vielmehr der ewig männliche Kampf um die Frauengunst rückt bei ihm in den Fokus. Denn Objekt der Begierde beider Könige ist neben dem englischen Territorium auch die schöne, blinde Emmeline.
Als Kriegs- und Märchenschauplatz hat Karoly Risz die schräge Dreiecksbühne mit zahlreichen gold-orangen Stoffbahnen ausgestattet, die variabel als Baumstämme, Fessel oder Opferbank dienen. Quer herabhängende Metalllatten kommen ab und an als Wolkenwand danieder. Das Licht (Michael Gööck) besorgt den Rest. Mit einem verheißungsvollen Siegesschrei des Ensembles im modernen Ritterkostüm (Susanne Uhl) entfaltet sich sogleich der Zauber dieses Schauspiel-Opern-Konglomerats, in dem es an Geistern, Nymphen und Gottheiten im barocken Übermaß natürlich nicht fehlen darf. Das schönste dieser Fabelwesen ist der leichtfüßig über die Bühne flitzende Luftgeist Philidel, den Sonja Beißwenger im blauen Ballonkleid ganz sympathisch unbefangen gibt und so zum I-Punkt der Inszenierung macht. Vor dem bösen Zauberer Osmond geflohen, hat Philidel sich auf Arthurs Seite geschlagen und verhilft dem Engländer (vorerst) zum Sieg über die Sachsen.
Kaum dass die Briten diesen feiern, raubt Oswald ihnen jedoch Emmeline. Yohanna Schwertfeger, in dieser Spielzeit ganz frisch am Staatsschauspiel engagiert, mimt die junge Blinde zunächst noch kindlich naiv, entwickelt sie später zu einem frechen Mädchen mit spitzbübischen Zügen, der ihre Unerfahrenheit und Unbekümmertheit nach wie vor ins Gesicht geschrieben steht. Nun ist es an Arthur, seine Geliebte zurückzuerobern, zumal auch der böse Zauberer Osmond, dem Benjamin Pauquet mit hässlichem Dickbauch affenhafte Züge verleiht, schon auf sie aufmerksam wird.
Doch König Arthur gelingt es, selbst den mächtigsten Zaubern Osmonds zu trotzen und Emmeline aus dessen Zwängen zu befreien. Matthias Reichwald ist ein smarter, taktisch kämpfender und kluger König Arthur, dem man seine Überlegenheit gegenüber Oswald in dieser Inszenierung deutlich ansieht. Als es schließlich zum alles entscheidenden Zweikampf zwischen Arthur und Oswald kommt, scheint das Ende eigentlich sicher. Christian Erdmann zeigt Oswald als gebeutelten, scheinbar ziel-, ja fast hilflosen Gegenspieler, der ob des plötzlichen (im Original so nicht vorgesehenen) Siegs der Sachsen schließlich eher perplex aus der Wäsche schaut.
Am Ende wird es denn noch einmal richtig komödiantisch: Wenn dieser verwirrte Oswald zusammen mit der verblüfften Emmeline winkend auf der Bühne steht und sich von hinten eine nackte, blonde Venus (Nadja Mchantaf) nähert, der beide kaum widerstehen können, hagelt es Lacher aus dem Publikum. Dem Schlussakkord folgt der – ebenfalls von Armin Petras überarbeitete – Epilog, nicht minder ironisch-selbstbezogen und sozusagen als finaler Geburtstagsgruß des Hauses an sich selbst.
Was nach dem letzten Vorhang haften bleibt, ist die erfrischende Version einer alten Herrscherkamelle, deren barockes Handlungsgemenge sich in dieser Inszenierung überraschend gut verdauen lässt. Einige Längen, besonders im ersten Teil, sind wohl vor allem der Gattung der Semiopera geschuldet, dank des sonst hervorragenden Zusammenspiels von Schauspiel und Musik (musik. Leitung: Felice Venanzoni) jedoch schnell vergessen.
Schauspielhaus Dresden, „King Arthur“, wieder am 29.9., 19 Uhr, 14.10., 17.10., 30.10., 01.11., 07.11., 07.12., 19.30 Uhr
Eine erwachsene Dame im grünen Kleid sitzt am Rand der Dresdner Schauspielhausbühne im hellen Licht. Mit der entspannten Geste der Erfahrung blickt sie auf ihr Leben zurück und fragt: „Wäre ich unter anderen Verhältnissen ein anderer geworden?“ Eine Frage, die sich wohl die allermeisten in diesem Raum, in Dresden im Jahr 2013, selbst schon gestellt haben. Es ist die Schlüsselfrage des Abends, eine ebenso persönliche wie politische Frage, deren Antwort immer irgendwo zwischen Hoffnung und Realität schwebt und nie richtig sein kann. Diese Frage ist auch der Schlüssel zu Felicitas Zürchers und Tilmann Köhlers Bühnenfassung von Christa Wolfs Erzählung „Der geteilte Himmel“ (1963), die am 19. Januar – 50 Jahre nach Erscheinen des gleichnamigen Buches – im Dresdner Schauspielhaus Uraufführung feierte.
In der Dresdner Bühnenfassung wird Wolfs berühmte Erzählung von dem Ende einer Liebe vor dem Hintergrund der Deutschen Teilung zu einem Konglomerat aus Erinnerungen. Der Prolog zu dieser Inszenierung entstammt Christa Wolfs Romanen „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ (2010) und „Nachdenken über Christa T.“ (1968) und erweitert die eigentliche Erzählung um die Perspektive der heutigen, erkennenden Rückschau. Diese Rückschau, auch das Verschwimmen von Erinnerungen mit fortschreitender Zeit wird zum vorherrschenden Thema des Abends. Regisseur Tilmann Köhler stellt dabei gleich drei Rita-Figuren gegenüber. Er ergänzt die beiden bereits in der literarischen Vorlage angelegten Erzählebenen, die aktuelle Rita im Krankenhaus (Annika Schilling) und das frühere „Mädchen Rita“ (Lea Ruckpaul), also noch um eine dritte: die heutige Rita, verkörpert durch Hannelore Koch, die auch schon den Prolog zum Stück sprach.
Vor dem Schatten der Romanhandlung, die ja von einem jungen, geteilten Liebespaar handelt, wechseln die Erinnerungen der Figuren wie bunte Traumfetzen auf der Bühne. Mal spricht die Rita im Krankenhaus schwer atmend vom Erlebten, mal spielt das noch unbeschwerte Mädchen zusammen mit ihrem Manfred fangen, dann wieder blendet die heutige Rita ihre Erinnerungen an längst vergangene Tage ein. Immer wieder blickt die Inszenierung vor und zurück, wechselt dabei die Perspektiven der Rückschau auf das Erlebte. Ernsthafte Szenen wechseln mit komischen Situationen und Luftballons werden zu bunten Botschaftern vergangener Illusionen. Mal hängen die Wolken des einfachen, weißen Tuch-Himmels über der schrägen Bühnen-Ebene (Karoly Risz) höher, mal fallen sie tief und drohen die Figuren in ihrer modern bequemen Alltagskleidung (Kostüm: Susanne Uhl) fast zu ersticken. Zwischendurch dient das riesige Himmelstuch wieder als Fläche für geträumte Videoprojektionen, während sich der sonst leere Bühnenraum erneut mit Geschichten füllt.
Unter diesem Zelthimmel spielt jeder uns alle und hin und wieder auch Christa Wolf. So rackert sich Lea Ruckpaul beispielsweise beständig daran ab, in der Rolle des „Mädchens Rita“ endlich erwachsen zu werden. Sie zeigt dabei über weite Strecken eine schlecht dosiert selbstbewusste Rita, gibt sich als zartes 19-jähriges Mädchen eher grob als weiblich und spielt die von Christa Wolf als emotional beschriebene Figur mit erstaunlich kühler Distanz. Alle Emotionalität, alle Verzweiflung, aber auch selbstbewusste Entschlossenheit der Rolle bleibt dagegen Annika Schilling überlassen, die als immer noch junge, aber nach der Flucht ihres Verlobten Manfred im Krankenhaus liegende Rita, aus kurzem zeitlichen Abstand auf ihre Liebesgeschichte zurückblickt. Schilling nimmt den Zuschauer ebenso mit in ihre Geschichte hinein, wie die bedächtig aus der zeitlichen Distanz und heutiger Erfahrung zurückschauende Erzählerin Hannelore Koch. Unwillkürlich fragt man sich dabei, warum Köhler es nicht bei den beiden Perspektiven des Buches belassen wollte.
Dennoch ist sein Ansatz, die Erzählung in einer Mischung aus Zeit- und Perspektivsprüngen von heute aus zu betrachten, pfiffig. Das gibt Raum, eigene Erfahrungen der vergangenen 20 oder 50 Jahre zu hinterfragen und holt Christa Wolfs Erzählung elegant ins Jahr 2013, ohne sie zu entstellen oder zu verfremden. Köhler bewegt sich damit andererseits aber auch vom Kern der Vorlage, der Liebe unter geteiltem Himmel, weg. Die Bühnenfassung läuft so ständig Gefahr, den roten Faden, den Christa Wolf einst webte, in der mehrfach geschachtelten Rückschau zu verlieren. In der Aneinanderreihung von Erinnerungen kommt die Tragik der Protagonisten, die bei Christa Wolf so herrlich mitfühlen lässt, auf der Bühne zu kurz. Zwar lässt Matthias Reichwald den abgeklärt liebenden, aber am DDR-Alltag verzweifelnden Manfred in all seiner Subtilität überzeugend lebendig werden. Doch plauzen ihm die starken Schlussworte Ritas am Ende so schroff wie stocksteife Phrasen in einem sozialistischen Zeitungsbericht entgegen: „Der Himmel teilt sich zu allererst.“
Die Besonderheit der historischen Situation, Ritas ehrliche Hoffnung auf eine neue Zeit zwischen Kriegsende und Mauerbau ist dabei kaum herausgearbeitet. So droht die Inszenierung immer wieder an ihrer Vorlage vorbei, ins Beliebige abzudriften. Am Ende ist das Spiel mit den Erinnerungen noch immer dasselbe, wie am Anfang, denn bloße Rückschau, auch reflektierende, lässt keinen Raum für Entwicklung nach vorn. Die Frage nach der richtigen Entscheidung zwar noch im Gedächtnis bleibt Christa Wolfs Erzählung letztlich doch präsenter als dieser Theaterabend.
„Der geteilte Himmel“, am Großen Haus Dresden, wieder am 21. und 30. Januar sowie am 07. Februar, jeweils 19.30 Uhr