Schillers „Verschwörung“ am Staatsschauspiel – eine Kritik
Nicht viel Spannendes gab es bislang auf der großen Bühne des Dresdner Staatsschauspiels zu sehen. Die meisten Premieren in der aktuellen Spielzeit waren entweder von grober Langeweile oder von kitschigem Klamauk getragen. Regisseur Jan Philipp Gloger inszenierte nun mit Friedrich Schillers „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ (1783) einen fast unbekannten Klassiker für Dresden. Schillers „Republikanisches Trauerspiel“, so der Untertitel, ist sein zweites vollendetes Drama nach den „Räubern“.
Was ist, wenn sich die Welt verändert, während im Ferienlager, mitten in der Pubertät, das eigene Leben aus den Fugen gerät? Wie nimmt man die politische Wende wahr, wenn man doch noch auf der Suche nach sich selbst ist? Das Stück „Schneckenmühle“ nach dem gleichnamigen Roman von Jochen Schmidt (2013) ist jener Vorwendegeneration gewidmet, die 1989 gerade 14/15 Jahre alt, gleich eine doppelte Umbruchzeit durchleben durfte – bei der der persönliche Aufbruch ins Erwachsenenleben mit dem Aufbruch in eine neue deutsche Zeitrechnung zusammenfiel.
Ohne (N)Ostalgie will Regisseur Robert Lehniger diese jugendliche Geschichte über den 14-jährigen Jens im Ferienlager „Schneckenmühle“ auf die Bühne des Kleinen Haues bringen. So liegt der Protagonist (Thomas Braungardt) zwar nicht im blauen FDJ-Hemd, dafür aber im blauen Samtpulli zunächst auf einer Art Zahnarztstuhl mit Lampe und Kamera, setzt sich jugendlich verspielt eine echte Weinbergschnecke auf die Wange und hadert in einer Art szenischer Lesung mit dem Vorhaben Ferienlager. Es dauert einen Moment, bis das unbeschwerte Lagerleben auf der Bühne dann tatsächlich Raum greift. Worte wie Intershop, Pfeffi, Nicki und FDJ fallen nun doch – und verorten das Ganze eindeutig da, wo es auch hingehört: Im Ferienlager der Wendezeit auf ostdeutscher Seite.
So spielt das Stück geschickt mit den Erinnerungen jener, die in dieser Zeit – oder vorher – ebenso eine fröhliche Ost-Jugend erleben durften, wie der Protagonist und seine Freunde. Es bleibt aber auch jenen nicht fern, die Intershop-Geruch und FDJ-Ansagen (Foto: PR/Matthias Horn) nur mehr aus den Erzählungen der Elterngeneration kennen, eben weil die Jugend und ihre Blüten im Grunde in jeder Zeit ähnlich bleiben. Tatsächlich nämlich handelt das, was sich hier im Pappmaché-Bungalow (Bühne & Kostüm: Irene Ip) abspielt, viel mehr von den großen und kleinen Unwägbarkeiten der Jugend, als von großer Politik – seien es kurze Blicke aufs andere Geschlecht, heiße Diskussionen über die Liebe oder kleine Hänseleien der Schwächsten im Bunde.
Es wird gerappt, gesungen und getobt, mal gespielt, dann getanzt – all das also, was junge Leute auch heute noch so tun. Zum Beweis dafür, greift Robert Lehniger immer wieder auf die Videoprojektion zurück, die hier nicht nur einen aktuellen Blick ins ehemalige und heutige Ferienlager Schneckenmühle eröffnet, sondern auch Interviews mit jungen Menschen aus dem Jahr 2013 abspult, bevor die Perspektive abermals zum Romanstoff hin wechselt. Wunderbar stimmungsvoll gelingt hier vor allem die Szene am Lagerfeuer, und als denn auch noch die Russen kommen, wird es zeitweise sogar richtig humorig spannend.
Das fünfköpfige Ensemble schlüpft gekonnt in die Rollen der Vorwende-Kinder und zieht mit Authentizität und Wandlungsfreude in den Bann. Vor allem Thomas Braungardt kann als schüchterner, unsicherer Jens, der stets zwischen den Überzeugungen der Gruppe und seiner eigenen hin- und hergeworfen wird, überzeugen. Immer wieder, vielleicht ein bisschen zu häufig, ergänzt vom bunten Videospaß auf Leinwand und Kulisse, entspinnt sich die Romanhandlung in der Bearbeitung von Beret Evensen und Robert Lehniger als abwechslungsreiches und kurzweiliges Theatererlebnis. Ein Erlebnis allerdings, dass wenig Raum für tiefergehende Gedanken über diese Zeit gibt, sondern stattdessen oft in Übermut zu ersticken droht.
Wer den Berliner Autor Jochen Schmidt (Jahrgang 1970) und seine Texte kennt, der wird wissen, dass diese, von ihm live in seinem typisch gleichgültigen Schmidt-Duktus (etwa bei der „Chaussee der Enthusiasten“ in der Hauptstadt) vorgetragen, sich weit wirksamer entfalten als auf bloßem Papier. Ähnlich ist es mit dieser Inszenierung, sie ist lebhaft unterhaltsam – und dennoch wünschte man ihr hier und dort doch ein Quäntchen mehr von eben diesem herrlich gleichgültig sonoren Schmidt-Stil.
Nicole Czerwinka
Jochen Schmidt: „Schneckenmühle“ am Kleinen Haus, wieder am 9.11., 12.11., 18.11., 23.11., 11.12., 31.12., jeweils 20 Uhr