„Der Gewitterbahnhofsstrand“ entführt am tjg auf eine akustische Entdeckungsreise
Wer würde nicht gern im Sommer das Zwitschern der Vögel oder das Rauschen des Meeres einfach einsammeln wie Muscheln am Strand? Der alte Maalra tut am Theater Junge Generation genau das. Er sammelt leidenschaftlich gern Geräusche: dunkles Gewittergrollen und dumpfe Bahnhofsdurchsagen, pfeifende Windböen oder klingelnde Straßenbahnen. Er ist der Protagonist im neuen Kinderstück „Der Gewitterbahnhofsstrand“ (Foto: PR/Robert Jentzsch) von Steffen Moratz und Lena Hach, das auf der Studiobühne in der Regie von Steffen Moratz Uraufführung feierte.
Stell Dir vor, an deinem 30. Geburtstag stehen wild fremde Menschen in deinem Zimmer. Sie sagen dir, du bist verhaftet. Den Grund dafür nennen sie nicht. Genau dieses Szenario hat Franz Kafka in seinem Roman „Der Process“ (1914/15) durchgespielt. Die Hauptfigur Josef K. versucht zehn Kapitel lang über verschlungene Wege herauszufinden, warum er schuldig sein soll. Ania Michaelis hat diese krude Geschichte für die Bühne des Puppentheaters (Fotos: PR/Dorit Günter) am Theater Junge Generation (TJG) bearbeitet und für Publikum ab 16 Jahren in Szene gesetzt.
Noch dreimal blühen im Wiener Prater die Bäume, bevor die Staatsoperette Dresden und das Theater Junge Generation im Kraftwerk Mitte eine neue Heimat finden. Bis 2016 soll der ehemalige Industriestandort am Wettiner Platz in ein Kulturzentrum verwandelt werden. Seit September 2013 steht das nun fest. Die ersten Bagger rollen in diesem Jahr an und die Vorfreude auf das, was hier entstehen wird, ist schon jetzt auf allen Seiten riesig. Das zeigte sich auch bei der „Matineé zum Operetten-Neubau“ am Sonntag (5.1.) in der Staatsoperette Dresden.
Die Herdmanns sind lotterig, rotzig, einfach unzähmbar. Die Sprösslinge dieser ungeliebten Familie kennen schließlich nicht einmal die Weihnachtsgeschichte. Wie um Himmels Willen soll denn das traditionelle Krippenspiel ablaufen, wenn die schlimmste Familie in der Kleinstadt nun auch hier die Hauptrollen an sich reißt? Das Theater junge Generation beschert mit dem turbulenten Werk „Hilfe, die Herdmanns kommen“ von Barbara Robinson (übersetzt u. bearbeitet von Nele und Paul Maar) einen vorweihnachtlichen Theaterspaß mit Pfiff. Regisseur Taki Papaconstantinou inszeniert das humorvolle Familienstück so schwungvoll, dass man nach knapp zwei Stunden Aufführungszeit am liebsten sitzen bleiben und weiterschauen möchte.
Von Anfang an fesseln die „Herdmanns“ die großen wie kleinen Zuschauer hier mit Musik, Witz und einer rasanten Erzählweise. Auf der mit nackten Weihnachtsbäumen bestückten Bühne (Ulrike Kunze) zeigt sich die gesamte Bandbreite kleinstädtischer Spießigkeit: Die Schauplätze wechseln vom elterlichen Wohnzimmer mit Couch, Teeküche und Christbaum, in vorweihnachtliche Straßen mit Bettlern, Musikern und Baumverkaufsstand, bis ins warme, sonst Herdmann-freie, Kirchenschiff. In selbigem laufen die Proben für das Krippenspiel dieses Mal etwas turbulenter ab als sonst. Doch Mutter Barbara (Susan Weilandt) hat sich ehrgeizig vorgenommen, in Vertretung einer kranken Nachbarin das beste Krippenspiel aller Zeiten zu inszenieren.
Gar nicht so einfach, denn die Herdmanns schleichen, springen und schlurfen als düstere Punkbande (Foto: PR/Klaus Gigga) durch die Szene. Sie sind gefürchtet bei den Kindern der Stadt, rücksichtslos und brutal. Doch während der Proben verblüffen sie plötzlich mit ihrer anarchischen und tiefsinnigen Interpretation der Weihnachtsgeschichte. Dass diese am Ende nicht nur im Stück im Stück, sondern auch ganz real im Theatersaal zum Erfolg wird, mag einerseits der Vorlage voller Wortwitz und Ironie zu verdanken sein. Papaconstantinou würzt diese zudem mit reichlich amerikanischen Weihnachtsschlagern (Musik: Bernd Sikora, Stefan Bormann), zart gestreuten Sitcom-Elementen und einem starken Schauspielensemble.
Seine Inszenierung besitzt schlichtweg Pep, besticht durch detailreiche Bilder und schafft mit der liebevollen Gestaltung mühelos Weihnachtsatmosphäre. Besonders Susan Weilandt (als Mutter), Eric Brünner (als Vater) und Marc Simon Delfs (als Sohn) sowie die drei Herdmanns (Nadine Boske, Charles Ndong und Marja Hofmann) überzeugen dabei von der ersten bis zu letzten Minute mit ihrem humorvollen Spiel. Allein die amerikanischen Weihnachtslieder scheinen sich nicht so recht auf der Dresdner Bühne einzufügen und könnten bei dem einen oder anderen für Ernüchterung sorgen.
Zur Vorstellung am vergangenen Sonnabend (14.12.) schien das jedoch nicht der Fall zu sein. Der tobende Schlussapplaus inklusive lauter Bravo-Rufe hielt auch der Gesangszugabe stand – und vor allem das kleine Publikum zeigte sich dabei genauso fröhlich ausdauernd wie in der Vorstellung.
Nicole Czerwinka
„Hilfe, die Herdmanns kommen“, am Theater junge Generation, wieder am 16.12., 12 Uhr; 17.12., 18.12. und 19.12., je 9 Uhr und 12 Uhr; 20.12., 10 Uhr; 21.12., 16 Uhr; 22.12., 11 Uhr und 16 Uhr; 23.12., 11 Uhr; 26.12., 27.12., je 16 Uhr
Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz hat sich besonnen. Sie will gegen den Stadtratsbeschluss zum Ausbau des Kraftwerkes Mitte für die Operette und das Theater der Jungen Generation (TJG) nun keinen Widerspruch einlegen. „Wir haben innerhalb der Verwaltung den Beschluss für einen gemeinsamen Standort von TJG und Operette im Kraftwerk Mitte intensiv geprüft. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich auf einen Widerspruch verzichte“, erklärte Orosz. Der Stadtrat müsse jedoch für eine gesicherte Finanzierung des 90 Millionenprojektes sorgen.
Die Oberbürgermeisterin sieht nun vor allem Fraktionen, die den Beschluss herbeigeführt haben, in der Pflicht: „Ich bedaure sehr, dass der Kompromiss, die Operette alleine an den Wettiner Platz zu holen, nicht zustande gekommen ist. Jetzt gilt es, den Beschluss der Mehrheit umzusetzen und die unhaltbare Situation für diese wichtigen städtischen Kultureinrichtungen zu beenden. Dies bedeutet aber auch, dass die Fraktionen für eine seriöse Finanzierung des Projektes im Haushalt sorgen müssen. Diese Finanzierung darf nicht zulasten der gesetzten Prioritäten von Schulen und Kitas gehen“, so Orosz.
Der Stadtrat hatte am vergangenen Donnerstag über die Zukunft der beiden Kultureinrichtungen entschieden. Die Staatsoperette und das TJG sollen demnach gemeinsam in das Kraftwerk Mitte ziehen. Der Baubeginn ist für 2013 angesetzt. Helma Orosz wollte den Stadtratsbeschluss zunächst per Widerspruch kippen. (NL)