Shakespeare am Dresdner Schauspielhaus
Das hat das Dresdner Schauspielhaus wohl in 100 Jahren so noch nicht gesehen: Stehende Ovationen schon am Anfang der Premiere von Shakespeares „Hamlet“ (Foto: Matthias Horn) am 24. November. Doch gilt der Applaus (noch) nicht den Schauspielern, sondern ist vielmehr ein ironischer Geniestreich von Regisseur Roger Vontobel, bei dem das Publikum gleich zu Beginn der Inszenierung Teil eines großen Auftritts wird. Die Bühne ist hier ein Spiegel des feudalen Zuschauerraumes des Großen Hauses selbst (Claudia Rohner), in dessen mittelster Loge König Claudius (Torsten Ranft) und seine Gattin Gertrud (Hannelore Koch) Platz genommen haben. Kurz darauf tritt Christian Friedel als blass-leidender Hamlet auf und komplettiert somit seine eigene Band, die hier freilich nicht als „Woods Of Birnam“ musizieren, sondern für das Spiel im Spiel eher zu Nebendarstellern werden. Denn dieses Konzert gehört freilich – als rockiges Requiem für Hamlets just verschiedenen Vater – ebenso zum Stück.
Vontobels Hamlet in schlichter schwarzer Trauerkleidung, die wie seine Musik eindeutig aus dem 21. Jahrhundert stammt (Kostüm: Ellen Hofmann), ist ein selbstversunkener Künstler, ein sensibler Geist, der mit seinen Kompositionen verschmilzt, dem Leben aber nur die leidigsten Seiten abtrotzen kann. Rezitiert Friedel zunächst mehr die dem Shakespeare‘schen Text entlehnten Rocksongs, denn seinen Text aus der Schlegel‘schen Originalübersetzung, so nimmt man ihm diesen leidenden, egozentrisch auf der Bühne zappelnden Hamlet, doch irgendwie von der ersten Minute an ab. Gut möglich, dass dieser verrückte Egomane sich den Mord am eigenen Vater vielleicht nur eingebildet hat. Die Musik ist sein Geist und sie ist es denn auch, die den Zuschauer trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise an das Stück sofort in selbiges hineinzieht – ohne erst Raum für Zweifel zu lassen.
Tatsächlich nimmt die Hamlet-Handlung parallel in den oberen Rängen auf der Bühne dann langsam ihren Faden auf. Denn während Hamlet unten seinen musikalischen Tribut für den Vater rockt, thront in der Mittelloge König Claudius mit protziger Krone neben seiner Geetrud, die Hannelore Koch als schillernde, aber durchaus gütige First-Lady mimt. Rosenkranz (Jonas Friedrich Leonhardi) und Güldenstern (Benedikt Kauff) werden prompt von ihr ermahnt, ein freundschaftlich wachsames Auge auf den Hamlet zu haben. In der dritten Loge schmachtet indes die träumerische Schwärmerin Ophelia (Annika Schilling), obwohl ihr Bruder Laertes (Matthias Reichwald) sie eindringlich vor dem Musiker da unten warnt. Und Ahmad Mesgarha gibt einen grandios schwafelnden Polonius, bevor die neuerdings in allen Stücken unverzichtbare Videoprojektion kurz hinter das Bühnenbild entführt und Hamlet wenig später die klassische Mausefalle – in diesem Fall natürlich als provozierenden Popsong mit eigener Band konzipiert – anstimmt. Dieses Lied treibt, wie erwartet, einen nervösen Ausdruck in die Augen des Königs, wie Horatio (Sebastian Wendelin) im großprojiziertem Video festhält.
Inzwischen ist auch Friedel als Hamlet gänzlich in Fahrt gekommen. Er zetert, zürnt und explodiert, lamentiert sein berühmtes „Sein oder nicht sein“ – und beweist, dass er es doch kann, das mit dem Schauspielern in großen Rollen. Singen ja sowieso. Vor allem in der zweiten Hälfte des gut dreistündigen Abends kann er sich so richtig entfalten. Die Instrumente sind verschwunden. Fast droht die klassische Theaterszene ohne die Musik zunächst hinter dem actionreichen Beginn zu verblassen. Und doch fängt sich das Stück recht schnell von selbst, ganz allein mit klassischer Schauspielkunst, wie man dankbar feststellt – und dazu ohne auch nur ein bisschen von seiner Spannung einzubüßen. Die Kulisse ist zur Palast-Wohnung geworden, Friedel indes kommt nun als jugendlich-ungestümer Hamlet erst richtig zur Geltung.
Ebenso wie Annika Schilling als unglückliche Ophelia, die nun vom Wahnsinn getrieben in Hamlets schwarzem Trauerhemd, später auch ganz ohne, über die Bühne taumelt. Schilling beherrscht die Entwicklung von der liebesblinden hin zur enttäuschten und verlorenen Ophelia in allen Abstufungen und lässt dieses verwirrte Wesen am Ende, trotz kleiner Übertreibungen, doch berührend umherirren. Nur einmal droht das Ganze kurz ins unangenehm Ulkige abzukippen, als sie als lang befederte Totengräberin erscheint. Doch das bleibt bloß Momentsache.
In der Schlussszene kämpft Hamlet dann vor allem mit sich selbst – und Christian Friedel gibt trotz sichtbarer Erschöpfung noch einmal alles. Nun ist er Hamlet, Königin, König und Laertes zugleich, wechselt die Rollen wie die Positionen – und bleibt trotzdem der Verlierer. Wenn die Kulisse wieder nach vorn fährt, sitzen Claudius, Gertrud, Güldenstern, Rosenkranz und Laertes wieder wohlbehalten oben im heimischen Palastzimmer. Selbst sein guter Freund Horatio hört Hamlets Rufe nicht, bevor dieses Theater-Konzert ein für alle Mal zu Ende ist. Keine stehenden Ovationen, dafür verdient tosender Applaus, diesmal gilt er tatsächlich einem brillanten Ensemble. Sogar die Frage, ob es reicht, Hamlet als verzogen-wirren Sohn zu interpretieren, kann nach einem solch erfüllten Theaterabend getrost unbeantwortet bleiben.
„Hamlet“ am Dresdner Schauspielhaus, wieder am 26.11., 6.12., 12.12., 26.12. je 19.30 und 30.12., 19 Uhr