„Dresdner Winterreise“ gibt Straßenkindern eine Stimme
Weltoffen oder nicht, modern oder konservativ – es gibt ein Gesicht von Dresden, das wir so gut wie gar nicht kennen. Zwischen all den großen Kulturhäusern, dem Stolz der Dresdner, auch mitten in den kreativsten Ecken der Neustadt, in den Randvierteln ebenso wie in der Innenstadt liegt eine Welt verborgen, die allgegenwärtig ist und vor der wir doch nur allzu gern die Augen verschließen. Es ist die Welt der Straßenkinder und Bettler, der sozial Benachteiligten, Armen, Drogensüchtigen und Obdachlosen. Das dokumentarische Kunstprojekt „Dresdner Winterreise“ hat diese Welt am 25. Januar für zwei Stunden in den Fokus eines Konzerts in der Dresdner Kreuzkirche (Foto: PR) gerückt.
„In Moskau blüht Anfang Mai alles.“ – In Moskau, da ist sowieso alles besser als in der russischen Provinz. Das ist auch der Grund, warum es Anton Tschechows „Drei Schwestern“ (1901) nach Moskau drängt. Doch Olga, Mascha und Irina kommen dennoch nie dort an. Hausregisseur Tilmann Köhler inszeniert diesen Klassiker, der 1901 – vier Jahre vor der Russischen Revolution – seine Uraufführung feierte, nun für das Staatsschauspiel in Dresden. Es ist ein zeitloses Stück, das von der Lethargie des unmittelbar bevorstehenden Untergangs erzählt – widergespielt in den Charakteren der Figuren, die wiederum nur von sich selbst reden, anstatt mit anderen in Dialog zu treten.
Andreas Kriegenburg holt am Staatsschauspiel Dresden die Klamauk-Keule hervor. (Foto: PR/Matthias Horn)
Shakespeares „Was ihr wollt“ am Schauspielhaus
Stücke von William Shakespeare kann man auch mit noch so schrägen Regieideen nicht verhunzen, meint man. Denn Shakespeare ist zeitlos, lustig und vielseitig, er nimmt einem nichts übel. Andreas Kriegenburgs Inszenierung von „Was ihr wollt“ am Dresdner Schauspielhaus ist dennoch mächtig daneben gegangen.
Staatsschauspiel feiert mit „King Arthur“ Jubiläum
Ausgerechnet mit einem pompösen, barocken Herrscherlob feiert sich das Dresdner Staatsschauspiel zur 100. Spielzeit selbst. Die Semiopera „King Arthur“ von John Dryden und Henry Purcell ward 1691 zur Legitimierung der englischen Monarchie uraufgeführt und soll den Dresdnern anno 2013 wohl zeigen, was sie an ihrem Theater haben. Wie sonst sollte man den Prolog zu diesem Stück verstehen, das nicht ganz Oper, aber auch nicht ganz Schauspiel – insofern also weder Fisch noch Fleisch – ist? Die Engstirnigkeit der Dresdner wird da mal wieder gescholten. Das Theater als Spiegel der Gesellschaft gelobt. Wo Armin Petras hier in den Originaltext Drydens eingriff, ist schnell klar.
Auf der Bühne des Großen Hauses zeigen nun beide Staatstheater, Oper und Schauspielhaus, in Kooperation, was die Dresdner an ihnen haben. Gemeinsam erzählen Schauspieler und Sänger unterstützt vom Orchester Collegium 1704 hier die Geschichte König Arthurs von England, der sein Territorium vor dem Sachsen Oswald, König von Kent, verteidigen muss. Regisseur Tilmann Köhler inszeniert dieses überbordende Werk aus einer längst vergangenen Zeit ganz ohne Pathos, aber mit einem kräftigen Ausgenzwinkern. Nicht die angelsächsische Völkerschlacht von damals, sondern vielmehr der ewig männliche Kampf um die Frauengunst rückt bei ihm in den Fokus. Denn Objekt der Begierde beider Könige ist neben dem englischen Territorium auch die schöne, blinde Emmeline.
Als Kriegs- und Märchenschauplatz hat Karoly Risz die schräge Dreiecksbühne mit zahlreichen gold-orangen Stoffbahnen ausgestattet, die variabel als Baumstämme, Fessel oder Opferbank dienen. Quer herabhängende Metalllatten kommen ab und an als Wolkenwand danieder. Das Licht (Michael Gööck) besorgt den Rest. Mit einem verheißungsvollen Siegesschrei des Ensembles im modernen Ritterkostüm (Susanne Uhl) entfaltet sich sogleich der Zauber dieses Schauspiel-Opern-Konglomerats, in dem es an Geistern, Nymphen und Gottheiten im barocken Übermaß natürlich nicht fehlen darf. Das schönste dieser Fabelwesen ist der leichtfüßig über die Bühne flitzende Luftgeist Philidel, den Sonja Beißwenger im blauen Ballonkleid ganz sympathisch unbefangen gibt und so zum I-Punkt der Inszenierung macht. Vor dem bösen Zauberer Osmond geflohen, hat Philidel sich auf Arthurs Seite geschlagen und verhilft dem Engländer (vorerst) zum Sieg über die Sachsen.
Kaum dass die Briten diesen feiern, raubt Oswald ihnen jedoch Emmeline. Yohanna Schwertfeger, in dieser Spielzeit ganz frisch am Staatsschauspiel engagiert, mimt die junge Blinde zunächst noch kindlich naiv, entwickelt sie später zu einem frechen Mädchen mit spitzbübischen Zügen, der ihre Unerfahrenheit und Unbekümmertheit nach wie vor ins Gesicht geschrieben steht. Nun ist es an Arthur, seine Geliebte zurückzuerobern, zumal auch der böse Zauberer Osmond, dem Benjamin Pauquet mit hässlichem Dickbauch affenhafte Züge verleiht, schon auf sie aufmerksam wird.
Doch König Arthur gelingt es, selbst den mächtigsten Zaubern Osmonds zu trotzen und Emmeline aus dessen Zwängen zu befreien. Matthias Reichwald ist ein smarter, taktisch kämpfender und kluger König Arthur, dem man seine Überlegenheit gegenüber Oswald in dieser Inszenierung deutlich ansieht. Als es schließlich zum alles entscheidenden Zweikampf zwischen Arthur und Oswald kommt, scheint das Ende eigentlich sicher. Christian Erdmann zeigt Oswald als gebeutelten, scheinbar ziel-, ja fast hilflosen Gegenspieler, der ob des plötzlichen (im Original so nicht vorgesehenen) Siegs der Sachsen schließlich eher perplex aus der Wäsche schaut.
Am Ende wird es denn noch einmal richtig komödiantisch: Wenn dieser verwirrte Oswald zusammen mit der verblüfften Emmeline winkend auf der Bühne steht und sich von hinten eine nackte, blonde Venus (Nadja Mchantaf) nähert, der beide kaum widerstehen können, hagelt es Lacher aus dem Publikum. Dem Schlussakkord folgt der – ebenfalls von Armin Petras überarbeitete – Epilog, nicht minder ironisch-selbstbezogen und sozusagen als finaler Geburtstagsgruß des Hauses an sich selbst.
Was nach dem letzten Vorhang haften bleibt, ist die erfrischende Version einer alten Herrscherkamelle, deren barockes Handlungsgemenge sich in dieser Inszenierung überraschend gut verdauen lässt. Einige Längen, besonders im ersten Teil, sind wohl vor allem der Gattung der Semiopera geschuldet, dank des sonst hervorragenden Zusammenspiels von Schauspiel und Musik (musik. Leitung: Felice Venanzoni) jedoch schnell vergessen.
Schauspielhaus Dresden, „King Arthur“, wieder am 29.9., 19 Uhr, 14.10., 17.10., 30.10., 01.11., 07.11., 07.12., 19.30 Uhr