Der Witz des Sonderbaren

Elling an der Comödie Dresden
Ulkiger Elling an der Comödie Dresden

„Elling“ an der Comödie Dresden

Elling und Kjell Bjarne sind zwei liebenswerte Existenzen am Rande der Gesellschaft. Nach einem längeren Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik dürfen sie nun endlich zusammen in eine Osloer Wohnung ziehen. Doch der Start in den eigenen vier Wänden ist für die beiden alles andere als einfach. Die Wände schaukeln zunächst noch, fast so wie der Zug, der die beiden nach Oslo bringt. Trotz einer großen Portion Unbeholfenheit im Gepäck sollen Elling und sein Freund Kjell Bjarne nun gemeinsam die Hürden des ganz realen Lebens meistern.

Der norwegische Regisseur Petter Næss brachte „Elling“ vor gut zehn Jahren auf die norwegischen Theaterbühnen und anschließend auf europäische Kinoleinwände. In Deutschland sahen allein 500.000 Zuschauer den Film, der aus der Romanvorlage des Schriftstellers Ingvar Ambjørnsen entstand. Witzig und poetisch zugleich erobert das Stück „Elling – zwei gegen den Rest der Welt“ in der Regie von Swentja Krumscheidt nun auch die Bühne der Dresdner Comödie.

Hier mimen Intendant Christian Kühn und Ex-GZSZ-Star Oli Petszokat das herrlich verrückte Freundespaar. Christian Kühn gibt den liebenswert naiven Elling, wie er ganz nach dem Vorbild seiner verstorbenen Mama plötzlich in die Putzpuschen schlüpft und die gemeinsame Wohnung wienert, als ulkigen, altklugen, aber auch zutiefst vor den Hürden des Alltags verängstigten Sonderling, für den schon ein Telefonanruf zur Herausforderung wird. Daneben wirkt Oli Petszokat als Kjell Bjarne fast wie ein treudoofer Wolf, der „sein halbes Leben hinter sich, aber noch nie gebumst“ hat, und beweist als trottliger Antiheld wahrhaft komödiantisches Talent.

Mit Pudelmützen, Koffer und Werkzeugkiste bewaffnet stehen die beiden unbeholfen in ihrem neuen Zuhause. Stolpernd bewegen sie sich durch die ungewohnte Freiheit, stellen vorsichtshalber ihre Betten wie in der Klinik zusammen, und entdecken so mit behutsamer „forsiktighet“ unter der Aufsicht des Sozialarbeiters Frank (Tobias Schenke) ihr neues Leben. Doch plötzlich werden die zwei Hilfsbedürftigen selbst zu Helfern. Denn Kjell Bjarne bringt eines Abends die sturzbetrunkene schwangere Nachbarin Reidun (Miriam Pielhau) mit – und auch mit Ellings Ruhe ist es fortan aus.

Ulkig und doch tiefsinnig wie das norwegische Original bewegt sich die Dresdner Inszenierung (Foto: PR/Robert Jentzsch) erstaunlich nah an der Filmvorlage und geht dennoch gekonnt ihre eigenen Weg. So versucht Krumscheidt gar nicht erst, Norwegen auf Deutschland zu adaptieren und lässt Radiosender und Lyrikvorträge in Originalsprache laufen. Dazwischen finden sich mit Kittelschürze und Einkaufsnetz ab und an kleine DDR-Reliquien versteckt. Auch der immer wieder auftauchende Roger Whittaker Song, den Elling wie ein beruhigendes Mantra vor sich hinsingt, wenn es für ihn wieder mal brenzlig wird, ist eine Erfindung der Dresdner, die sich gut ins Stück einfügt.

Mit Witz, aber ohne Klamauk und dank einem grandiosen Ensemble, das spürbare Freude am Spiel zeigt, wird diese norwegische Komödie zu einem herzerfrischenden Theaterabend mitten in Dresden.

„Elling“, Comödie Dresden, wieder vom 26.2. bis 3.3. und 16.4. bis 21.4., jeweils 19.30 Uhr

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Gespaltene Erinnerungen

Geteilter Himmel, Staatsschauspiel Dresden
Dreifache Rita, halber Spaß unter geteiltem Himmel in der Regie von Tilmann Köhler am Staatsschauspiel Dresden (Foto: PR/David Baltzer).

„Geteilter Himmel“ am Staatsschauspiel

Eine erwachsene Dame im grünen Kleid sitzt am Rand der Dresdner Schauspielhausbühne im hellen Licht. Mit der entspannten Geste der Erfahrung blickt sie auf ihr Leben zurück und fragt: „Wäre ich unter anderen Verhältnissen ein anderer geworden?“ Eine Frage, die sich wohl die allermeisten in diesem Raum, in Dresden im Jahr 2013, selbst schon gestellt haben. Es ist die Schlüsselfrage des Abends, eine ebenso persönliche wie politische Frage, deren Antwort immer irgendwo zwischen Hoffnung und Realität schwebt und nie richtig sein kann. Diese Frage ist auch der Schlüssel zu Felicitas Zürchers und Tilmann Köhlers Bühnenfassung von Christa Wolfs Erzählung „Der geteilte Himmel“ (1963), die am 19. Januar – 50 Jahre nach Erscheinen des gleichnamigen Buches – im Dresdner Schauspielhaus Uraufführung feierte.

In der Dresdner Bühnenfassung wird Wolfs berühmte Erzählung von dem Ende einer Liebe vor dem Hintergrund der Deutschen Teilung zu einem Konglomerat aus Erinnerungen. Der Prolog zu dieser Inszenierung entstammt Christa Wolfs Romanen „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ (2010) und „Nachdenken über Christa T.“ (1968) und erweitert die eigentliche Erzählung um die Perspektive der heutigen, erkennenden Rückschau. Diese Rückschau, auch das Verschwimmen von Erinnerungen mit fortschreitender Zeit wird zum vorherrschenden Thema des Abends. Regisseur Tilmann Köhler stellt dabei gleich drei Rita-Figuren gegenüber. Er ergänzt die beiden bereits in der literarischen Vorlage angelegten Erzählebenen, die aktuelle Rita im Krankenhaus (Annika Schilling) und das frühere „Mädchen Rita“ (Lea Ruckpaul), also noch um eine dritte: die heutige Rita, verkörpert durch Hannelore Koch, die auch schon den Prolog zum Stück sprach.

Vor dem Schatten der Romanhandlung, die ja von einem jungen, geteilten Liebespaar handelt, wechseln die Erinnerungen der Figuren wie bunte Traumfetzen auf der Bühne. Mal spricht die Rita im Krankenhaus schwer atmend vom Erlebten, mal spielt das noch unbeschwerte Mädchen zusammen mit ihrem Manfred fangen, dann wieder blendet die heutige Rita ihre Erinnerungen an längst vergangene Tage ein. Immer wieder blickt die Inszenierung vor und zurück, wechselt dabei die Perspektiven der Rückschau auf das Erlebte. Ernsthafte Szenen wechseln mit komischen Situationen und Luftballons werden zu bunten Botschaftern vergangener Illusionen. Mal hängen die Wolken des einfachen, weißen Tuch-Himmels über der schrägen Bühnen-Ebene (Karoly Risz) höher, mal fallen sie tief und drohen die Figuren in ihrer modern bequemen Alltagskleidung (Kostüm: Susanne Uhl) fast zu ersticken. Zwischendurch dient das riesige Himmelstuch wieder als Fläche für geträumte Videoprojektionen, während sich der sonst leere Bühnenraum erneut mit Geschichten füllt.

Unter diesem Zelthimmel spielt jeder uns alle und hin und wieder auch Christa Wolf. So rackert sich Lea Ruckpaul beispielsweise beständig daran ab, in der Rolle des „Mädchens Rita“ endlich erwachsen zu werden. Sie zeigt dabei über weite Strecken eine schlecht dosiert selbstbewusste Rita, gibt sich als zartes 19-jähriges Mädchen eher grob als weiblich und spielt die von Christa Wolf als emotional beschriebene Figur mit erstaunlich kühler Distanz. Alle Emotionalität, alle Verzweiflung, aber auch selbstbewusste Entschlossenheit der Rolle bleibt dagegen Annika Schilling überlassen, die als immer noch junge, aber nach der Flucht ihres Verlobten Manfred im Krankenhaus liegende Rita, aus kurzem zeitlichen Abstand auf ihre Liebesgeschichte zurückblickt. Schilling nimmt den Zuschauer ebenso mit in ihre Geschichte hinein, wie die bedächtig aus der zeitlichen Distanz und heutiger Erfahrung zurückschauende Erzählerin Hannelore Koch. Unwillkürlich fragt man sich dabei, warum Köhler es nicht bei den beiden Perspektiven des Buches belassen wollte.

Dennoch ist sein Ansatz, die Erzählung in einer Mischung aus Zeit- und Perspektivsprüngen von heute aus zu betrachten, pfiffig. Das gibt Raum, eigene Erfahrungen der vergangenen 20 oder 50 Jahre zu hinterfragen und holt Christa Wolfs Erzählung elegant ins Jahr 2013, ohne sie zu entstellen oder zu verfremden. Köhler bewegt sich damit andererseits aber auch vom Kern der Vorlage, der Liebe unter geteiltem Himmel, weg. Die Bühnenfassung läuft so ständig Gefahr, den roten Faden, den Christa Wolf einst webte, in der mehrfach geschachtelten Rückschau zu verlieren. In der Aneinanderreihung von Erinnerungen kommt die Tragik der Protagonisten, die bei Christa Wolf so herrlich mitfühlen lässt, auf der Bühne zu kurz. Zwar lässt Matthias Reichwald den abgeklärt liebenden, aber am DDR-Alltag verzweifelnden Manfred in all seiner Subtilität überzeugend lebendig werden. Doch plauzen ihm die starken Schlussworte Ritas am Ende so schroff wie stocksteife Phrasen in einem sozialistischen Zeitungsbericht entgegen: „Der Himmel teilt sich zu allererst.“

Die Besonderheit der historischen Situation, Ritas ehrliche Hoffnung auf eine neue Zeit zwischen Kriegsende und Mauerbau ist dabei kaum herausgearbeitet. So droht die Inszenierung immer wieder an ihrer Vorlage vorbei, ins Beliebige abzudriften. Am Ende ist das Spiel mit den Erinnerungen noch immer dasselbe, wie am Anfang, denn bloße Rückschau, auch reflektierende, lässt keinen Raum für Entwicklung nach vorn. Die Frage nach der richtigen Entscheidung zwar noch im Gedächtnis bleibt Christa Wolfs Erzählung letztlich doch präsenter als dieser Theaterabend.

„Der geteilte Himmel“, am Großen Haus Dresden, wieder am 21. und 30. Januar sowie am 07. Februar, jeweils 19.30 Uhr

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Hamlet als Konzert

Shakespeare am Dresdner Schauspielhaus

Das hat das Dresdner Schauspielhaus wohl in 100 Jahren so noch nicht gesehen: Stehende Ovationen schon am Anfang der Premiere von Shakespeares „Hamlet“ (Foto: Matthias Horn) am 24. November. Doch gilt der Applaus (noch) nicht den Schauspielern, sondern ist vielmehr ein ironischer Geniestreich von Regisseur Roger Vontobel, bei dem das Publikum gleich zu Beginn der Inszenierung Teil eines großen Auftritts wird. Die Bühne ist hier ein Spiegel des feudalen Zuschauerraumes des Großen Hauses selbst (Claudia Rohner), in dessen mittelster Loge König Claudius (Torsten Ranft) und seine Gattin Gertrud (Hannelore Koch) Platz genommen haben. Kurz darauf tritt Christian Friedel als blass-leidender Hamlet auf und komplettiert somit seine eigene Band, die hier freilich nicht als „Woods Of Birnam“ musizieren, sondern für das Spiel im Spiel eher zu Nebendarstellern werden. Denn dieses Konzert gehört freilich – als rockiges Requiem für Hamlets just verschiedenen Vater – ebenso zum Stück.

Vontobels Hamlet in schlichter schwarzer Trauerkleidung, die wie seine Musik eindeutig aus dem 21. Jahrhundert stammt (Kostüm: Ellen Hofmann), ist ein selbstversunkener Künstler, ein sensibler Geist, der mit seinen Kompositionen verschmilzt, dem Leben aber nur die leidigsten Seiten abtrotzen kann. Rezitiert Friedel zunächst mehr die dem Shakespeare‘schen Text entlehnten Rocksongs, denn seinen Text aus der Schlegel‘schen Originalübersetzung, so nimmt man ihm diesen leidenden, egozentrisch auf der Bühne zappelnden Hamlet, doch irgendwie von der ersten Minute an ab. Gut möglich, dass dieser verrückte Egomane sich den Mord am eigenen Vater vielleicht nur eingebildet hat. Die Musik ist sein Geist und sie ist es denn auch, die den Zuschauer trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise an das Stück sofort in selbiges hineinzieht – ohne erst Raum für Zweifel zu lassen.

Tatsächlich nimmt die Hamlet-Handlung parallel in den oberen Rängen auf der Bühne dann langsam ihren Faden auf. Denn während Hamlet unten seinen musikalischen Tribut für den Vater rockt, thront in der Mittelloge König Claudius mit protziger Krone neben seiner Geetrud, die Hannelore Koch als schillernde, aber durchaus gütige First-Lady mimt. Rosenkranz (Jonas Friedrich Leonhardi) und Güldenstern (Benedikt Kauff) werden prompt von ihr ermahnt, ein freundschaftlich wachsames Auge auf den Hamlet zu haben. In der dritten Loge schmachtet indes die träumerische Schwärmerin Ophelia (Annika Schilling), obwohl ihr Bruder Laertes (Matthias Reichwald) sie eindringlich vor dem Musiker da unten warnt. Und Ahmad Mesgarha gibt einen grandios schwafelnden Polonius, bevor die neuerdings in allen Stücken unverzichtbare Videoprojektion kurz hinter das Bühnenbild entführt und Hamlet wenig später die klassische Mausefalle – in diesem Fall natürlich als provozierenden Popsong mit eigener Band konzipiert – anstimmt. Dieses Lied treibt, wie erwartet, einen nervösen Ausdruck in die Augen des Königs, wie Horatio (Sebastian Wendelin) im großprojiziertem Video festhält.

Inzwischen ist auch Friedel als Hamlet gänzlich in Fahrt gekommen. Er zetert, zürnt und explodiert, lamentiert sein berühmtes „Sein oder nicht sein“ – und beweist, dass er es doch kann, das mit dem Schauspielern in großen Rollen. Singen ja sowieso. Vor allem in der zweiten Hälfte des gut dreistündigen Abends kann er sich so richtig entfalten. Die Instrumente sind verschwunden. Fast droht die klassische Theaterszene ohne die Musik zunächst hinter dem actionreichen Beginn zu verblassen. Und doch fängt sich das Stück recht schnell von selbst, ganz allein mit klassischer Schauspielkunst, wie man dankbar feststellt – und dazu ohne auch nur ein bisschen von seiner Spannung einzubüßen. Die Kulisse ist zur Palast-Wohnung geworden, Friedel indes kommt nun als jugendlich-ungestümer Hamlet erst richtig zur Geltung.

Ebenso wie Annika Schilling als unglückliche Ophelia, die nun vom Wahnsinn getrieben in Hamlets schwarzem Trauerhemd, später auch ganz ohne, über die Bühne taumelt. Schilling beherrscht die Entwicklung von der liebesblinden hin zur enttäuschten und verlorenen Ophelia in allen Abstufungen und lässt dieses verwirrte Wesen am Ende, trotz kleiner Übertreibungen, doch berührend umherirren. Nur einmal droht das Ganze kurz ins unangenehm Ulkige abzukippen, als sie als lang befederte Totengräberin erscheint. Doch das bleibt bloß Momentsache.

In der Schlussszene kämpft Hamlet dann vor allem mit sich selbst – und Christian Friedel gibt trotz sichtbarer Erschöpfung noch einmal alles. Nun ist er Hamlet, Königin, König und Laertes zugleich, wechselt die Rollen wie die Positionen – und bleibt trotzdem der Verlierer. Wenn die Kulisse wieder nach vorn fährt, sitzen Claudius, Gertrud, Güldenstern, Rosenkranz und Laertes wieder wohlbehalten oben im heimischen Palastzimmer. Selbst sein guter Freund Horatio hört Hamlets Rufe nicht, bevor dieses Theater-Konzert ein für alle Mal zu Ende ist. Keine stehenden Ovationen, dafür verdient tosender Applaus, diesmal gilt er tatsächlich einem brillanten Ensemble. Sogar die Frage, ob es reicht, Hamlet als verzogen-wirren Sohn zu interpretieren, kann nach einem solch erfüllten Theaterabend getrost unbeantwortet bleiben.

„Hamlet“ am Dresdner Schauspielhaus, wieder am 26.11., 6.12., 12.12., 26.12. je 19.30 und 30.12., 19 Uhr

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Das Biest und die Strassprinzessin

„Endstation Sehnsucht“ am Kleinen Haus Dresden

Eine sich laut vergnügende Truppe junger Menschen feiert inmitten von grauen Kreidetafeln mit frechen Sprüchen, formelhaft anmutenden Zeichen und kleinen Kritzeleien. Wild und ungestüm springen sie von der Bühne. Zurück bleibt die fahle Wand, die ebensolche Tristesse ausstrahlt, wie es heute vor allem die Neubaugebiete am Rande der Stadt tun. Und plötzlich betritt die feine Blanche mit ihrem übergroßen Schrankkoffer die Szene. Sie wirkt wie ein bunter unpassender Vogel in dieser Umgebung und ihre elegante Erscheinung scheint sich schon im ersten Moment, genau wie ihr französischer Name, Blanche DuBois, an der Rauheit dieser kühlen Wände zu brechen.

Es ist die untergehende feudale Kultur der amerikanischen Südstaaten, die der Dramatiker Tennessee Williams 1947 in seiner Tragödie „Endstation Sehnsucht“ mit dem proletarischen Industrie-Amerika kollidieren lässt. Ein Stoff, der für Dresden im Jahr 2012 unendlich weit entfernt scheint, in der sehr atmosphärischen Inszenierung von Nuran David Calis am Kleinen Haus des Staatsschauspiels (Premiere am 22.11.2012) aber durchaus auch für die heutige Zeit existenzielle Fragen aufwirft und so überaus überzeugend an Relevanz gewinnt.

Blanche (Nele Rosetz) sucht nach der Zwangsversteigerung ihrer Plantage Zuflucht bei ihrer kleinen Schwester Stella (Ines Marie Westernströer), die mit ihrem Mann Stanley (Sascha Göpel) in ärmlichen Verhältnissen in New Orleans lebt und obendrein ein Kind erwartet. In dieser ungezwungenen, aber rauen Arbeiter-Atmosphäre wird ständig geschrien, gesoffen, geraucht, gestritten, gefeiert, gerauft und versöhnt – und schnell ist dem kühlen Realisten Stanley klar, dass seine Schwägerin nicht bloß Strass, sondern auch Geheimnisse in ihrem großen Koffer mitbringt.

Nele Rosetz, die ihr komödiantisches Talent zuletzt in „Damen der Gesellschaft“ bewies, mimt hier gekonnt und mitreißend die gescheiterte Plaudertasche Blanche. Erscheint diese anfangs noch als witzige, etwas überdrehte Person, so bröckelt ihre Fassade immer weiter, bis Blanches Verzweiflung und innere Verletzlichkeit im Schimmer des lodernden Feuers schließlich augenscheinlich werden.

Blanche ist in Illusionen gekleidet wie in ihre prachtvollen Pelze, sie hat ein gutes Herz, ist feingeistig und die eigentlich tragische Figur in dem Stück. Ihr Problem liegt dabei nicht allein in der Affäre mit einem Minderjährigen, wegen der sie ihren Job als Lehrerin verlor, sondern vielmehr in der – durchaus verständlichen – Diskrepanz mit ihrem „untermenschlich, bestialischen“ Schwager Stanley, „dem Polacken“. Zudem ist sie weit weniger leidens- und anpassungsfähig als ihre Schwester, die Ines Marie Westernströer als robust-selbstbewusste Ehefrau darstellt. Bald können Blanche und Stanley ihre Abneigung gegeneinander jedoch nicht mehr zurückhalten, sodass auch Blanches Flucht in eine oft fast träumerische Kindlichkeit keinen Halt mehr bietet.

Ihre einzige Hoffnung ruht schließlich in dem schüchternen Mitch, einem Freund Stanleys, der sich in Blanches Augen sofort von dem Rest der rüden Gesellschaft um ihren Schwager unterscheidet, weil er „so was Sensibles im Blick“ hat. Grandios lässt Wolfgang Michalek diesen naiv Verliebten in einer fast komödiantischen Slapstick-Szene mit Gitarre und Liebeslied vor Blanche erscheinen. Doch auch hier wird deutlich, dass dieser „Gentleman“ wohl eher Blanches Phantasie von einem Traummann entsprungen, denn eine realistische Lösung ist – und Sehnsucht für sie doch die Endstation bleibt.

In diesem Kampf zwischen Blanche und Stanley, der vor allem aus unterschiedlichen Moral- und Lebensansprüchen resultiert, stimmt über zweidreiviertel Theaterstunden lang fast alles. Keine Minute ist langweilig, jede Nuance der charakterlichen und emotionalen Bandbreite wird ausgespielt, die Figuren sind Charaktere, wie man sie – und das zeigt sich nicht zuletzt an ihrer Kleidung (Amelie von Bülow) – auch überall im richtigen Leben finden könnte. Das durchweg starke Ensemble zieht vor einer zwar abstrakten, dennoch aber atmosphärischen Bühne mit Videoprojektion zur Hinterbühne (Irina Schicketanz) in seinen Bann. Das Ende gerät dabei so berührend, wie unabwendbar: Die Szene gleicht, ebenso wie die Seele der Protagonistin, einem Trümmerfeld. Wer bleibt, das sind die anderen. Und trotzdem stirbt, selbst bei Williams, die Hoffnung zuletzt.

„Endstation Sehnsucht“ am Kleinen Haus wieder am 24.11., 6.12., 26.12., jeweils 19.30 Uh

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Ungezwungene Tragödie

„Jungfrau von Orleans“ am Kleinen Haus

Was hat sie nur an sich, diese Johanna von Orleans, Schillers romantische Tragödie einer französischen Jungfrau, die auf Liebe verzichtete und stattdessen einer göttlichen Stimme folgend gegen die Engländer in den Kampf zog, um ihr Vaterland zu retten? Was macht diese Geschichte so interessant, dass sie bis heute die Theaterbühnen erobert?

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Shakespeare für Hartgesottene

Titus Andronicus, Staatsschauspiel Dresden
Titus Andronicus poltert in einer deutsch-polnischen Kooperation am Kleinen Haus Dresden (Foto: PR/Natalia Kabanow).

„Titus Andronicus“ am Kleinen Haus

Shakespeares „Titus Andronicus“ ist ein vulgäres Stück über Rache und Krieg. Es gilt als Shakespeares blutigstes Drama ohne Moral und ist vermutlich auch deswegen vom Theater der Neuzeit über Jahrhunderte hinweg an den Rand der Vergessenheit gedrängt worden. Eine Kooperationsarbeit des Staatsschauspiels Dresden und des Teatr Polski Wroclaw holt es von dort zurück auf die Bühne. Und wie. Der polnische Regisseur Jan Klata – in seiner Heimat kein Unbekannter – serviert mit seiner Inszenierung in Wroclaw und Dresden eine wuchtig-schonungslose Theaterproduktion, an der sich die Geister scheiden – weil sie nicht schön, aber anders ist und Shakespeares Vorlage dabei trotzdem durchaus gerecht zu werden scheint.

Es ist ein theatrales Feuerwerk mit grellem Blitz und lautem Donner, das hier zweieinhalb Stunden lang auf das Publikum niederprasselt. Ein wahrhaft vulgäres und abstoßend gewalttätiges Stück, skurril, schräg, bösartig und kompromisslos, brutal und dennoch gelungen zweisprachig inszeniert. Der Kampf zwischen Römern (Titus Andronicus) und Goten wird hier auf einer düsteren Bühne ausgetragen. 21 Sargkisten fallen zu Beginn laut krachend unter militärischem Marschgeklapper auf die Bühne, sie stehen für die 21 Söhne, die Titus der Sieg über die Goten gekostet hat. Als er anschließend den Sohn der Gotenkönigin Tamora als Brandopfer tötet und diese dann auch noch den neu ernannten Römischen Kaiser ehelicht, nimmt das blutige Rachedrama seinen Lauf.

Barbarische Gewaltszenen, verpackt in einen schrillen Diskosound, der ab und an mit militärischen Stechschritten kombiniert wird, um das Ganze auf allen Sinnesebenen ja noch wuchtiger zu gestalten, zeigen hier den verbitterten Rachefeldzug zwischen Goten und Römern. An dessen Ende steht das kannibalische Fressen des Gegners, ohne Moral. Auch bei Shakespeare. Nur dass sich hier anstatt der Römer, Deutsche in mit Wehrmachtstechnik bedruckten Shirts und Polen als barbarische Goten in Hawaiihemden gegenübertreten und gegenseitig niedermetzeln – wobei die Derbheit des Stückes auf die gestalterische Spitze getrieben wird. Da fliegen abgehackte Hände über die Bühne und Babys werden verspeist, die stumme Lavinia kehrt blutig vergewaltigt aus den Klauen der Goten zurück. Dazwischen lugt nur ab und zu ein Stück vergnügliche Ironie hervor, meist in Zweisprachigkeit verpackt, die zur Abwechslung ein paar müde Lacher provoziert.

Wirklich menschlich ist keine dieser Figuren auf Bühne, alle handeln brachial und übertrieben, offenbar von niederschmetternden Emotionen geleitet, die an Amokläufer aus dem Fernsehen erinnern. Das zweisprachig mit wirkungsvoll auf weißer Leinwand arrangierten Übertiteln angelegte Stück kommt dabei über lange Strecken nahezu ohne Text aus. Nur das Wichtigste wird gesagt, der Rest ist grell lautstarkes Effekttheater. So ist es am Ende denn auch egal, ob sich Römer und Goten oder Deutsche und Polen auf der Bühne gegenüberstehen, werden hier doch schließlich ohnehin bloß Extreme ohne Graustufen gezeigt, die jeder Hoffnung auf Besserung oder gar Läuterung entbehren.

Die schauspielerische Leistung ist dabei durchweg grandios, schade nur, dass das Publikum in der Wucht der Inszenierung davon größtenteils unberührt bleibt. So wartet etwa Torsten Ranft als Titus-Bruder Marcus Andronicus immer wieder mit keckem Lautklamauk auf und erscheint wie ein in die Handlung verwobener Erzähler, zu dem Wolfgang Michalek als Titus eher in den Hintergrund rückt – wenn er nicht gerade mal wieder lauthals brüllend Rache übt. Und während Paulina Chapko als geschundene Titus-Tochter Lavina in ihrer stummen Opferrolle physisch und psychisch gefesselt auf der Bühne steht, tigert Ewa Skibinska als hinterlistige, erotisch laszive Verführerin und fahrig-gedankenversunkene Rache-Kaiserin über die Bühne.

Die wiederum ist mit den 21 Holz-Sarg-Kisten und der weißen Leinwand im Hintergrund so einfach wie wirkungsvoll gestaltet. Das Bühnenbild von Justyna Lagowska-Klata wird von den kunstvoll arrangierten Übertiteln regiert und gibt trotz oder dank seiner Kargheit viel Raum für Bilder, die die Handlung um Krieg, Rache und Politik eben heraufbeschwört. Die größte Rolle in diesem Reigen aus kriegerischen Grausamkeiten nimmt jedoch immer wieder die Musik ein, die mal laut wummernd, dann wieder ironisch stimmungsvoll („Flames of Love“), immer aber überlaut tönend Raum greift, sodass der krude Machtkampf ähnlich einem Krieg auf der Diskotanzfläche erscheint.

Bei all dem bleibt die Inszenierung dennoch schockierend, abstoßend, grell überzogen und grausam laut, auf ihre Weise jedoch faszinierend zugleich werden diese zweieinhalb Stunden keine Minute langweilig. Dem gern vergessenen Bastard unter Shakespeares Stücken mag das vielleicht gerecht werden, ob es in aller Wuchtigkeit und Brutalität jedermanns Sache ist und so wie zu Shakespeares Zeit auch heute ein großes Publikum begeistern kann, ist dagegen fraglich.

„Titus Andronicus“ am Kleinen Haus Dresden, wieder am 06.10., 19.30 Uhr; 07.10., 19 Uhr; 10.11., 19.30 Uhr und 11.11., 19 Uhr

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Die zwei Seiten des „Liliom“

Liliom, Staatsschauspiel Dresden
Torsten Ranft (vorn) ist Liliom am Staatsschauspiel Dresden (Foto: PR/Matthias Horn).

„Liliom“ am Kleinen Haus Dresden

„Auf jeden Schrecken ein Bier“, sagt der Schausteller Liliom (Torsten Ranft) und lässt die leere Flasche die schräge Bühne im Kleinen Haus Dresden hinunterrollen. Die Hauptfigur in Franz Molnars gleichnamigen Stück ist ein Raubein, ein armer Schlucker und Schlawiner, der seine Freundin Julie (Cathleen Baumann) schlägt und nie Geld hat. Eine traurige Figur, die erst im Himmel zum Menschen wird.

Franz Molnars „Liliom – Eine Vorstadtlegende in sieben Bildern“ hat es schon bei der Uraufführung 1909 in Budapest nicht leicht gehabt. Molnars Stück – irgendetwas zwischen sozialem Drama und Tragikkomödie – floppte. Und auch die Premiere der deutschsprachigen Übersetzung von Alfred Polgar in Berlin 1912 war kein großer Erfolg. Erst die Aufführung am Theater in der Josefstadt Wien lief besser. Von da an wurde „Liliom“ zum Selbstläufer. Hans Albers hat es allein 1800 Mal in Berlin gespielt, das Sujet wurde mehrfach verfilmt und Vorlage für das Musical „Caroussell“.

So richtig verruchte Rummelatmosphäre will allerdings in der Inszenierung von Hausregisseurin Julia Hölscher am Staatsschauspiel Dresden nicht aufkommen. Das überwiegend düstere Bühnenbild (Esther Bialas) beschränkt sich hier auf jene Bierflaschen auf schräger Bühne und einen großen Kasten, ein Schrank mit Ziehharmonikatüren, der auf der Schräge beständig auf- und niederfährt und sich hin und wieder für musikalisch durchaus stimmungsvolle Szenen öffnet. Das darin versteckte bunte Licht und eine kleine Kapelle sind ist alles, was hier ans Schaustellermilieu erinnert.

Ansonsten sind die Figuren im Mittelpunkt der Szenerie. Sie zeigen eine kaputte Gesellschaft kleiner Leute am Rande des Lebens. In abgewetzten Hemden hecken die Männer Pläne aus, um an Geld zu kommen, während die kurz berockten Mädels (Kostüm: Ulli Smid) sich über die Liebe austauschen. Marie (Annika Schilling) scheint es mit ihrem Wolf dabei noch besser getroffen zu haben, als Julie mit ihrem Liliom. Das Spiel dieser drei Hauptfiguren wirkt vor allem zu Beginn allerdings noch zu wenig lebendig, ist weder berührend noch zieht es den Zuschauer hinreichend in das Stück hinein. Torsten Ranft gibt den Zyniker Liliom in der ersten Hälfte noch etwas farblos, eigentlich emotionale Stellen wirken dagegen eher künstlich akzentuiert. So entsteht eine Distanz, die schnell in Langeweile umschlagen kann. In den dialoglastigen Szenen des Anfangs wirkt der Wiener Dialekt der deutschen Übersetzung von Alfred Polgar zudem allzu angestrengt, Dialektsprache wechselt ungeschickt mit Hochdeutsch.

Doch dann öffnet sich der große Kasten wieder einmal, die bunten Lichter erstrahlen und die Musik der Einmann-Kapelle (Tobias Vethake) erfüllt den Raum, rauschhafte Szenen spielen sich ab und Benjamin Höppner tanzt als Ficsur plötzlich nackt im Schrank. Das ist verstörend und überzogen, aber immerhin passiert nun endlich etwas. Auch als Liliom anschließend seinen Raubüberfall plant, nimmt das Stück langsam Fahrt auf. Torsten Ranft hat die kühle Distanz des Anfangs nun gänzlich überwunden und bringt die Figur Liliom in ihrer ganzen Ambivalenz auf die Bühne. Als dieser im hellen Licht stirbt, später wieder unter Engelsmusik im Himmel erwacht und von seiner ungeborenen Tochter erfährt, wird es sogar für kleine Momente lang berührend.

Ansonsten sind die sieben Bilder des Stückes bis zum Schluss kaum voneinander zu unterscheiden. Die Inszenierung bewegt sich bis auf diese wenigen prickelnden Momente überwiegend im Nebulösen, Ungreifbar-Abstrakten. Und die tragische Figur des kleinen Rummelschaustellers „Liliom“ verschwindet ins Dunkel, als hätten sich die Türen des hell erleuchteten Kapellenschränkchens auf der Bühne eben wieder geschlossen.

Kleines Haus Dresden, wieder am 11.6., 26.6., 03.07., jeweils 19.30 Uhr

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Lustiges Intrigenspektakel

„Die Hochzeit des Figaro“ am Kleinen Haus

Die Dresdner Hochschulen für Musik (HfM) und Bildende Künste (HfBK) verbünden sich in diesem Jahr für eine gemeinsame Aufführung von Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ am Kleinen Haus Dresden. Herausgekommen ist dabei eine erfrischend lebendige Inszenierung, die nicht nur mit den Repertoire-Vorstellungen der großen Häuser mithalten kann, sondern gleichzeitig das 20. Jubiläum der HfM-Opernklasse markiert.

Dabei sind die Themen Revolution und die damit verbundene Forderung nach Gleichheit und Brüderlichkeit, die Mozarts Oper bei der Uraufführung 1786 in Wien zu einem skandalumwitterten Stück machten, jenseits der Musik heute nur noch schwer auf der Bühne einzufangen. In ein ironisches Spiel aus Verkleidung und Intrigen verpackt, verschwimmen in „Le nozze die Figaro“ schließlich die Grenzen zwischen den gesellschaftlichen Ständen.

In der Inszenierung von Andreas Baumann verkehren Herr und Knecht nun ihre Rollen auf einem angeschrägten, goldenen Parkett unter feudalem Prachtkronleuchter. Agathe Mac Queen (Studentin der HfBK) hat dieses eher funktionale, jedoch symbolisch klar durchdachte, Bühnenbild entworfen, das im dritten und vierten Akt zu einem Schlachtfeld der Revolution wird, in dem Stühle kippen und Kostüme getauscht werden. Vor dieser Kulisse gewinnt die junge „Figaro“-Interpretation nach dem gemeinhin eher faden ersten Akt bald schnell an Fahrt, wobei die Gegensätze von Adel und Bediensteten hier zu einer Gegenüberstellung moderner Luxusmenschen und Otto-Normal-Bürger karikiert werden.

Die Sänger – alle samt Mitglieder der HfM-Opernklasse – rackern sich dabei nicht bloß stimmlich an der Partitur ab, sondern bringen auch dank ihrer Spielfreude die ganze Ironie und Komik des Stückes auf die Bühne. Vor allem Lindsay Funchal präsentiert eine musikalisch wie darstellerisch facettenreiche Susanna, die mit der kräftigen Stimme ihres Figaro (Allen Boxer) wunderbar harmoniert. Auch Gunyong Na als Graf Almaviva und Eunhye Lim als Gräfin gehören zu den großen Stimmen des Premierenabends. So wird, was Mozart in seiner überzeitlichen Musik – spannungsvoll interpretiert vom Hochschulsinfonieorchester unter der Leitung Ekkehard Klemms – einst angelegt hat, von den Studenten gelungen ins Heute übersetzt.

Dresden, Kleines Haus „Die Hochzeit des Figaro” wieder am 4.5., 17.5., 24.5., 30.5. jeweils 19 Uhr

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Große Partien am Kleinen Haus

Studenten inszenieren Mozarts „Figaro“

Die Dresdner Hochschulen für Musik und Bildende Künste bringen am 27. April mit Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“  wieder eine Gemeinschaftsproduktion auf die Bühne des Kleinen Hauses. Während die Kunststudenten für Bühnenbild, Kostüme und Maske verantwortlich zeichnen, übernimmt die Opernklasse der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ den musikalischen Part. Elbmargarita.de sprach im Vorfeld mit Lindsay Funchal (Foto: privat), die die Partie der Susanna singt.

Lindsay, Sie singen die Susanna in der Hochschulinszenierung von „Figaros Hochzeit“. Wie fühlt es sich an, im Rahmen einer studentischen Produktion auf der Bühne des Kleinen Hauses stehen zu dürfen?

Es ist eine tolle Möglichkeit, die wir hier an der Hochschule für Musik haben, unsere Hochschulproduktion auf einer echten Bühne zu spielen und den Betrieb eines richtigen Theaters kennenzulernen. Auch weil Figaros Hochzeit somit in den regulären Spielplan des Dresdner Schauspielhauses integriert ist.

Welche Herausforderungen sind mit der Rolle der Susanna verbunden?

Die Rolle der Susanna ist eine der längsten Opernpartien überhaupt, daher braucht man eine sehr gute körperliche und stimmliche Kondition. Um den Charakter der Susanna darzustellen, muss man sehr aktiv sein und viel Energie versprühen.

Inwieweit können sich auch die Gesangsstudenten in die Gestaltung des Stückes mit einbringen?

Wie in jeder Opernproduktion haben die Sänger auf die Inszenierung an sich keinen Einfluss, allerdings lässt uns der Regisseur Andreas Baumann viel Spielraum, die einzelnen Charaktere selbst zu entwickeln und mit eigener Persönlichkeit zu füllen.

Welche Beziehung haben Sie als Sängerin zu Mozarts Opern?

Susanna ist meine dritte Mozartpartie, nachdem ich bereits Blonde in „Die Entführung aus dem Serail“ und Despina in „Cosi fan tutte“ gesungen habe. Es ist für mich sehr spannend zu erfahren, wie unterschiedlich die oft als ähnlich gesehenen Rollen in Wirklichkeit doch sind. Mozart zeichnet seine Figuren musikalisch sehr fein und jede hat ihre Persönlichkeit. Als Sängerin muss man eine große Sensibilität entwickeln, um diese Unterschiede darstellen zu können.

Mozart charakterisiert die Figuren im Figaro allein durch die Musik sehr genau. Inwieweit bleiben da noch Spielräume für eigene Interpretationen?

Es gibt immer Spielraum für eine eigene Interpretation und das ist genau unsere Aufgabe, die Figuren durch unsere eigene Persönlichkeit mit Leben zu erfüllen.

Interview: Nicole Czerwinka

Mozart „Die Hochzeit des Figaro“, Premiere am 27. April, 19 Uhr im Kleinen Haus Dresden, öffentliche Probe am 25. April, 18 Uhr im Kleinen Haus

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Die Tragik eines Nachmittags

„Treffen am Nachmittag“ am Societaetstheater

Es beginnt im Dunkel. Moderne Stühle stehen um einen Glastisch. Ein alter Mann setzt sich, bedient eine Fernbedienung, Knacken, Rauschen, das Licht wechselt die Farbe. Er stellt sein Hörgerät ein. Musik ist zu hören, dann der Polizeifunk, wieder Musik. Plötzlich klingelt es. Das Licht geht an, er öffnet die Tür. Eine gepflegte Dame tritt ein. Sie hat sich schick gemacht, trägt ein rotes Kleid mit Schal, hohe Schuhe und sieht sich um, setzt sich schließlich. Die ersten Minuten von Henning Mankells „Treffen am Nachmittag“ vergehen am Societaetstheater Dresden ganz ohne ein Wort. Danach herrscht dafür ein umso rauerer Ton zwischen den beiden Hauptfiguren. Sie sind 60 Jahre verheiratet, 23 davon getrennt (oder waren es schon 24?) und eigentlich immer noch ein schönes Paar. Die Beiden wissen, dass sie alt sind – und dennoch, oder gerade deshalb, will sie nun die Scheidung.

Das ursprünglich als Rundfundhörspiel konzipierte Kammerstück des Schweden Henning Mankell hat es in sich. Feinsinnig zeichnet der durch seine Wallander-Krimis international populär gewordene Autor darin das Profil eines ergrauten Liebespaares, das die Probleme des Lebens eigentlich längst gelebt und verziehen haben sollte. Doch die beiden reden erst jetzt miteinander – und wie! Wortgefechte, die von Seitensprüngen bis hin zu Inkontinenz und Tablettenkonsum allerlei traurig-komische Geständnisse enthüllen. Mankells Text strotzt vor Ironie. Er erzählt in subtiler Weise von den Unwägbarkeiten der Liebe, ebenso wie von den Unzulänglichkeiten der Liebenden, deren tiefe Zuneigung zueinander trotz des gelegentlichen Hasses aufeinander nie endet. So ein Text braucht, wenn er auch auf der Bühne funktionieren soll, vor allem eines: sehr gute Schauspieler.

Für die deutsche Uraufführung am Theater hat sich Regisseur Andreas Pirl daher zwei Koryphäen erster Güte auf die Bühne geholt. Irma Münch (geboren 1930), war bis 1990 Mitglied des Schauspielensembles des Deutschen Fernsehfunks der DDR und mit dem Schauspieler Hans-Peter Minetti verheiratet, spielt den weiblichen Part. Und Hermann Beyer, der (1943 geboren) am Societaetstheater zuletzt in „Totentanz“ zu sehen war und als Schauspieler bis heute in zahlreichen Fernsehproduktionen mitwirkt. Den beiden nimmt man das alte, frustrierte bis einsame Ehepaar (Foto: PR/Detlef Ulbrich) gern ab. Sie harmonieren zusammen, optisch ebenso wie beim Spiel. Das jedenfalls lässt sich an vielen Stellen der Uraufführung schmerzlich erahnen.

Denn ganz sicher gelänge es den beiden Schauspielern, die pfiffigen, oft frechen und schonungslos ehrlichen Dialoge mit viel Humor und Spielfreude auf der Bühne erlebbar zu machen. Von der nötigen Lockerheit und erfahrener Routine ist bei der Uraufführung am 13. April allerdings nicht viel spürbar. Es scheint eher wie verhext. Immer wieder verheddert sich Hermann Beyer in allzu offensichtlichen Texthängern. Mehrfach fordert er die Souffleuse auf, ihm den Text laut vorzusagen und bringt den Spielfluss damit unangenehm ins Stocken. Improvisiert er auch anfangs noch selbstbewusst über seine Unsicherheiten hinweg, so drohen diese am Ende die gesamte Dramaturgie zu sprengen. Auch Irma Münch wird dadurch immer wieder zur Improvisation gezwungen, was sie jedoch souverän und tapfer meistert.

So bleibt zum Schluss nur eine leise Ahnung davon, dass in Beyer ein grandioser Schauspieler steckt, der an diesem Abend nur einfach nicht in Gang kommen will. Stattdessen wird er auf traurige Weise zu eben jener vergesslichen Figur, die er eigentlich spielen soll. Am Ende bibbert das Publikum mehr mit ihm als mit dem eigentlichen Stück. Das ist schade.

Nicole Czerwinka

„Treffen am Nachmittag“ am Societaetstheater Dresden wieder am 14.4. 20 Uhr sowie am 18.5. und 19.5. jeweils 20 Uhr.

 

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